Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Titel: Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
Vom Netzwerk:
würden.«
    »Aber so eingeschüchtert waren sie gar nicht«, wandte ich ein. »Denn inzwischen hatten sie von Fuchs in Los Alamos Blaupausen der Bombe bekommen. Und von George Koval Beschreibungen von Urananreicherungsanlagen. Wer weiß, vielleicht hatten sie von Leonard Novak sogar Blaupausen für einen Plutoniumreaktor.«
    Miranda stöhnte. »Verdammt«, sagte sie. »Ein … einziges … Rätsel. « Es war eine Phrase aus einem alten Broadwaymusical – Der König und ich –, die sie oft zitierte, und ich musste lächeln. Wenn sie schon wieder Musicaltexte zitierte, hatte sich ihre Angst ein wenig gelegt. »Okay …«, sie seufzte, »… ich weiß, dass es Ihnen das Herz brechen wird, aber ich muss jetzt nach Hause gehen und Immanuel Kat füttern.«
    »Bedeutet das, dass wir jetzt doch nicht den Lieferdienst für Pizza und Philosophen anrufen?«
    »Heute Abend nicht«, sagte sie. »Vielleicht morgen, wenn wir uns den Problemen Völkermord und Hungertod in Afrika widmen.«
    »Ich kann’s kaum erwarten«, sagte ich, und sie verschwand.
    Doch sie steckte den Kopf noch einmal zur Tür herein. »Also, ähm …«
    »Jaaa?«
    »Thornton«, meinte sie. »Eine Schande. Irgendwie mochte ich ihn.«
    Ich unterdrückte ein Lächeln. »Ich glaube, er mochte Sie auch. Und ich habe gehört, er ist notorisch wählerisch.«
    »Mist«, sagte sie und verschwand wieder im Flur.
    Dann tauchte sie noch einmal auf. »Das grundlegende moralische und ethische Problem«, sagte sie, »ist Folgendes. Ich vermute, Thornton ist Republikaner. Ich könnte nie mit einem Republikaner ins Bett gehen.«
    »Gütiger Himmel, nein«, sagte ich. »Das wäre ein teuflischer Kompromiss.«

22
    Als ich an Beatrice’ Bordstein parkte und zu ihrer Tür ging, merkte ich, dass ich innerlich ganz aufgeregt war, fast so, als wäre ich auf dem Weg zu einem Leichenfundort, um ein Skelett zu bergen. Ich sagte mir, das sei ganz natürlich; schließlich kehrte ich auf Bitte von Emert und Thornton hierher zurück, die beide hofften, ich könnte ihr mehr Informationen entlocken als sie. Doch das war es nicht, oder wenigstens nicht nur. Ihre Geschichten hatten ein wenig Licht auf Novak geworfen, doch im Rampenlicht ihrer Erzählungen stand doch hauptsächlich Beatrice selbst. Ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, sie wegen Novak allzu sehr zu bedrängen, denn das eine Mal, da ich es versucht hatte, hatte sie, genau wie gegenüber den Polizeibeamten, Senilität vorgeschützt. Doch es gab noch einen anderen Grund, warum ich sie von sich erzählen ließ, statt Antworten über Novak einzufordern. Wenn ich ehrlich war, ging mir auf, als ich ihr Wohnzimmer betrat und ihr einen Wodka einschenkte, hatte ich mich von der alten Dame und ihren Geschichten verzaubern lassen, genau wie ich mich von den Schwarzweißfotos und den Filmen im Museum und in der Stadtbücherei hatte verzaubern lassen. Die Bilder gaben mir einen Einblick in eine andere Zeit, als Männer und Frauen sich verzweifelt in geheimen Städten abmühten und die Wissenschaft tragische Größe erlangte. Beatrice’ Geschichten gaben diesen Bildern ein menschliches Gesicht und eine menschliche Stimme.
    Es war wohl diese nachdenkliche Stimmung, die mich drängte zu sagen: »Ist es nicht seltsam, dass ich zurückgekommen bin und hier sitze, um noch eine Geschichte zu hören?«
    »Keineswegs«, sagte sie. »Es könnte gar nicht anders sein. Jeder Augenblick Ihres Lebens ist die Summe aller vorangegangenen Augenblicke. Alles, was Ihnen je widerfährt, hinterlässt Spuren, verändert irgendwie den Kurs ein wenig, macht Sie ein bisschen mehr zu dem, der Sie sind. Es hat jeden einzelnen Schritt erfordert – selbst die Schritte, die Sie gemacht haben, als das Leben nicht gerade freundlich mit Ihnen umgesprungen ist –, um Sie genau da hinzubringen, wo Sie jetzt sind. Als ich jung war, hat das Leben mich von Tennessee nach New York geschleift und wieder zurück.«
    »Erzählen Sie mir davon«, sagte ich. »Erzählen Sie mir die Geschichte.«

23
    Mein Vater starb, als ich zehn war. Meine Mutter arbeitete als Nachtportier in einem Hotel in Chattanooga, also war ich es von klein auf gewohnt, nachts allein zu sein. Sich an etwas zu gewöhnen ist jedoch nicht dasselbe, wie es zu mögen. Mein Vater war für immer weg, und manchmal kam es mir so vor, als wäre meine Mutter es auch.
    Als ich dreizehn war, fuhren meine Mutter und ich an Weihnachten mit dem Zug nach New York. Meine Tante Rachel und mein Onkel Isaac wohnten dort –

Weitere Kostenlose Bücher