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Dr. Gordon verliebt

Dr. Gordon verliebt

Titel: Dr. Gordon verliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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passiert es mir immer weder, daß ich zweimal soviel Medizinflaschen verschreibe, wie von der Therapie für notwendig befunden wird.»
    «Machen Sie sich keine Sorgen, Junge. Das leibliche Wohlbefinden eines Bürgers mit einem halben Liter gefärbten Wassers zu erkaufen ist für keine Regierung ein zu hoher Preis. Und haben sich’s die Leute einmal in den Kopf gesetzt, daß ihnen irgend etwas guttut, werden Sie’s ihnen niemals austreiben — mag es sich nun um Medizinen, Milch, Getränke oder Fleischextrakte handeln, die, wie Sie wissen, aus achtzig Prozent Mehl bestehen, das ohne jeglichen Nährwert ist, und zwanzig Prozent Salz, um sie vor dem Verfaulen zu bewahren, das sie so sehr verdienen würden.»
    Dr. Farquarson begann seine sehr unhygienisch aussehende Pfeife zu stopfen.
    «Das Malheur dieser Generation ist, daß ihre Umwelt ihre Intelligenz übersteigt. Schauen Sie sich mal den Dorftrottel an — vor hundert Jahren saß er zufrieden auf seiner Bank vor dem Wirtshaus. Ab und zu gab ihm jemand ein kleines Bier, und ab und zu ließ ihn jemand Unkraut jäten. Niemals stand er sich oder anderen im Weg. Und heute? Heute muß er sich mit Verkehrsordnungen, Einkommensteuer, Toto, Volksversicherung, Fürsorgerinnen und Gott weiß was noch auseinandersetzen. Da er das nicht vermag, fällt er dem Arzt zur Last oder man steckt ihn in eine Anstalt. In fünfzig Jahren wird jeder, der nicht über eine ausreichende Kenntnis in der Kernphysik verfügt, als geistig zurückgeblieben erachtet werden, ’s wird ein schöner Tag sein, wenn mehr Leute hinter Mauern sitzen als frei herumlaufen. Doch im Augenblick hat die allgemeine Praxis noch die Aufgabe, die Idioten von den Kranken zu sondern.»
    «Ich hoffe, dies heute getan zu haben», sagte ich ihm, als ich seine Brauen zucken sah. «Ich glaube eine frühe Tuberkulose und eine frühe Schizophrenie festgestellt zu haben. Hab sie mit den entsprechenden Begleitschreiben in die entsprechenden Anstalten eingewiesen.»
    «Daran taten Sie natürlich recht. Der Tuberkulöse würde früher oder später seine Familie infizieren, und der Verrückte früher oder später das Porzellan zusammenschmeißen. Ich trachte allerdings, die Leute, solang es geht, den Anstalten fernzuhalten. Sie sind abnorme Institutionen. Oft ist es für beide Teile besser, wenn die Patienten von den eigenen Angehörigen gepflegt werden. Der Mensch sollte die Möglichkeit haben, in seinem eigenen Heim geboren zu werden, und erst recht, dort zu sterben. Die Familie schart sich um ihn zusammen, wie Sie wissen, und es ist nur recht, daß er sich seiner Wichtigkeit bewußt wird.»
    «Aber die Sterilität...» murmelte ich.
    «Bah, Sterilität! Seinerzeit gab’s eine Menge prostataleidende alte Herren, die frei umherliefen, die Katheter in die Hutkrempe gesteckt. Ist es jemandem bestimmt, sich anzustecken, können’s genausogut die eigenen Wanzen bewerkstelligen. Im Spital kriegt man die des Nachbarn, und penicillinresistent werden die auch noch sein. Aber ich öde Sie an. Es ist schon bemerkenswert, wie weitschweifig man wird, wenn man ins Greisenalter tritt.»
    Ich war der Ansicht, daß eine Praxis an der Seite Dr. Farquarsons recht anregend wirken müsse.
    Meine Begeisterung angesichts des neuen Lebens wurde jedoch etwas gedämpft, als ich durch das sich abblätternde Portal des Hotels zur Krypta trat. Es stand gegenüber der Abtei und repräsentierte den Typ jener englischen Pensionen, in denen ich seit meinen Studienzeiten so viele Nächte verbracht hatte. An den straßenseitigen Fenstern hingen vergilbte Netzvorhänge darnieder, auf dem Querbalken über dem Eingang meldete eine schief angebrachte Karte in strengen Lettern das Vorhandensein leerer Zimmer, die Hall enthielt ein schachbrettartig gemustertes Linoleum, das in der Mitte bis auf den roten Grundbelag abgetreten war, sowie ein Gemälde, das eine Schar struppiger Rinder darstellte, die sich auf einem Hochlandmoor sichtlich unbehaglich fühlten. Es gab Tafeln, die Pünktlichkeit bei den Mahlzeiten und beim Begleichen der Rechnungen forderten, und eine Besitzerin, die zu verstehen gab, sie hielte es nicht für ausgeschlossen, daß man ein Massenmörder war. Doch da das Ganze recht sauber wirkte und der Speisengeruch, der wie üblich das Stiegenhaus erfüllte, würzig war, beschloß ich zu bleiben.
    Man hatte mir ein Zimmer in der Form einer Käseplatte dicht unter dem Dach zugeteilt; eine polierte Messingbettstelle füllte es fast zur Gänze aus, so

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