Dr. Gordon verliebt
drei Monate in Hampden Cross verbracht. Zu diesem Zeitpunkt fiel der Schatten der Abtei schon merklich früher über unsere Türschwelle; die Zugluft, die ins Sprechzimmer eindrang, fand wieder ihre alten Winkel, die Morgen wiesen jene flüchtige Kühle auf, die ein Vorbote des Herbstes ist, und die Abende füllten die Straßen mit sanftern Nebel. Meine Ergebung in eine Existenz, die sich mit einem bescheidenen medizinischen Standard begnügte, hatte sich in Begeisterung gewandelt, und unsere Partnerschaft ließ sich erfolgreich an. Den Patienten bedeutete Dr. Farquarson der weise, konservative, vielleicht ein bißchen überholte Arzt; ich hingegen galt als der junge, ungestüme, vielleicht ein bißchen gefährliche. Das Leben verlief arbeitsreich, doch unkompliziert — bis zu jenem Vormittag, da ich zu Mrs. Tadwich gerufen wurde.
Die Behausung dieser Dame, deren Adresse mir Miss Wildewinde gegeben hatte, befand sich oberhalb eines Süßwarenladens in der Nähe der Hauptstraße. Ich folgte nun stets Dr. Farquarsons Rat, eine Diagnose zu stellen, bevor ich noch an der Türglocke des Patienten schellte; auf dem Fußabstreifer stehend, entschied ich nach einem Blick auf die unordentlichen Vorhänge und den schmierigen Anstrich, daß ich es wohl mit einer alternden Witwe zu tun haben würde, die an fortschreitender Pupillenverengung und Arthritis litt. Unwillkürlich von heftigem Mitleid ergriffen, beschloß ich, mein Bestes für sie zu tun. Da tat sich die Türe auf, und eine üppige Blondine in einem rosa Négligé stand auf der Schwelle.
«Ach — Mrs. Tadwich?»
«Das bin ich.»
«Ich bin der Arzt.»
Sie schenkte mir ein strahlendes Lächeln. «Kommen Sie nur herein! Ich hatte Ihren Besuch nicht so früh am Morgen erwartet», erklärte sie, indem sie mit geschicktem Griff ein Paar trocknende Nylonstrümpfe von einem Strick, der quer durch das unordentliche Wohnzimmer gespannt war, herunterzog.
«Ich pflege meine neuen Patienten zuerst aufzusuchen.»
Ich folgte ihr durch eine weitere Türe und stand in ihrem Schlafzimmer. «Leben Sie ganz allein hier?» fragte ich.
«O ja. Mr. Tadwich ist ausgezogen», klärte sie mich entgegenkommend auf. «Wir stehen in Scheidung. Soll ich mich ins Bett legen?»
Mir wurde angst und bange. Dies war eine Situation, die mir der geordnete Spitalsbetrieb nie geboten hatte. Im St. Swithin war es uns streng verboten gewesen, eine Patientin unterhalb der Schlüsselbeine ohne Beisein einer schwesterlichen Anstandsdame zu untersuchen, und ich sah bereits meine Karriere vorzeitig in den öden Hallen des Obersten Ärzterates zu London enden. Doch dann kam mir zu Bewußtsein, daß es närrisch aussehen würde, wenn ich einfach meine Tasche packte und davonlief. Außerdem stand ich unter der zwängenden moralischen Verpflichtung, sie zu untersuchen; tat ich das nicht, könnte ich ebenso schimpflich vor der hohen Obrigkeit landen, die mir dann mein Gehalt entziehen würde, so wie man einem schlimmen Schuljungen das Taschengeld entzieht.
«Was fehlt Ihnen denn?» fragte ich in der Hoffnung, es handle sich um ein Leiden, das keinerlei ethische Gefahren barg, wie Stirnhöhlenkatarrh oder Nissen.
«Mein Herz macht mir zu schaffen, Doktor.»
Meine Lebensgeister erlitten einen erheblichen Dämpfer. Doch es gibt glücklicherweise für einen nervösen jungen Arzt ein Refugium — und zwar die kalte, berufsmäßige Methode. Sie ist eine seelische Schutzmaßnahme, die erklärt, weshalb so viele frischgebackene Ärzte ihren in gleicher Weise erschreckten Patienten barsch und unverständlich erscheinen. Ich setzte eine Miene auf, die im Verein mit den Broughams und Gladstonehosen aus der Harley Street verschwunden war, griff an meine Rockaufschläge und sprach gemessen: «Das Herz, Madam? Und welche Symptome haben Sie?»
«Ach, keinerlei Symptome.» Sie ließ sich in die Kissen zurückgleiten, der Situation sichtlich mehr gewachsen als ich. «Ich hab nur manchmal solches Herzklopfen, wissen Sie. Mein Herz ist ein richtiges Problem.»
«So?»
«Zumindest behauptete das der Facharzt. In der Mitte meiner Brust, gerade hier, kann man’s so komisch zucken spüren.»
«Wirkt sich Ihr Zustand auch in anderen Erscheinungen aus, oder nicht?»
«Ach nein. Im Spital hat man mir gesagt, daß mein Leiden ganz harmlos ist. Wollen Sie mich nicht untersuchen?» Sie ließ ihr Nachthemd bis zur Taille hinabgleiten.
«Ein idiopathisches Leiden also», bemerkte ich standhaft. «Hum. Dann handelt es sich um
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