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Dr. Ohio und der zweite Erbe

Dr. Ohio und der zweite Erbe

Titel: Dr. Ohio und der zweite Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Stichler
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Planen konnten ihn mehr aufhalten. Die Zeiten des Verstandes, der Ratio, lagen weit hinter ihm. Wohin hatte ihn das schon gebracht? An den Rand des Nervenzusammenbruchs, wähnte er und lachte leise.
    In Wirklichkeit war er schon weit über einen Nervenzusammenbruch hinaus. Die lange Wanderung im Regen heute Nachmittag hatte ihr Übriges getan und leistete seinem beginnenden Wahnsinn mit einem Ansteigen der Körpertemperatur Vorschub. Sein schwacher Körper war an eine Grenze gelangt und wurde nur durch seinen Glauben, seinen gestählten Willen und das unbedingte Wissen um seine Mission weitergetragen. Schon in den feuchten Katakomben der Champagne, ach was, an den Ufern des Genfer Sees hatte das Leiden begonnen, lagen die Nerven blank. Jetzt stand es in voller Blüte und bald war Erntezeit.
    Profan gesagt, waren wohl ein paar Sicherungen zu viel durchgebrannt bei Wieri. Er scherte sich nicht einmal mehr darum, ob er entdeckt würde oder nicht. Einzig sein Auftrag zählte. Und, diese Konsequenz zog er aus seinen Fehlschlägen, entweder Gott liebte und beschützte ihn. Dann würde er sowieso allen Unbilden und Misslichkeiten zum Trotz unentdeckt bleiben, egal, ob er Vorsichtsmaßnahmen ergriff oder nicht. Gott würde seine schützende Hand über ihn halten. Oder aber er war ohnehin verloren. Ein verlorener Sohn auf dem falschen Weg. Dann hatte er keine Chance, sein Vorhaben zu einem guten Ende zu bringen.
    Es war ein Gottesurteil reinsten Wassers. Wieri war entflammt, das Absolute war wie Rauschgift für ihn. Es gab nur entweder – oder, nichts dazwischen. Und eines war gewiss und spendete immer Trost: Im Falle eines Scheiterns würde er trotzdem in Gottes Armen landen. Er würde bereuen und Gott würde ihm verzeihen. Wer wusste schon Bescheid über die Wege des Herrn? Wer wusste denn schon, was richtig und was falsch war?
    Was ist denn aus all den Sündern geworden, die im Namen Gottes ihre Gräuel verübt haben, Menschen zu Hackfleisch, Sklaven ... Pest, Hurerei, Ausbeutung, Schlächterei, Spekulanten, betrügerische Landverkäufe, Placebos, Mogelpackungen, künstliche Farbstoffe, Krankenversicherungen, und denen viel später, sehr viel später die Kirche sanft die Legitimation entzog, um nicht selbst unters Fallbeil der nachgeborenen Geschichtsbetrachtung zu geraten? Sie bereuen an der Brust des allmächtigen Vaters, sie trösten sich in ihrem Himmel. Geschah nicht alles in bester Absicht?
    Wieri spurtete mit dem Rucksack in der Hand über die Wiese auf Adlers Hof. Dort riss er mehrere Flaschen seines Gebräus heraus, das er für den Anschlag im Zug hergestellt hatte. Ein kurzer Moment der Besinnung durchzuckte ihn und er sah sich um, um den besten Platz zu finden. Die Fenster im Erdgeschoss lagen niedrig. Wieri entzündete die Flaschen, die mit tränenden Lappen präpariert waren, mit einem Feuerzeug und schleuderte sie in brennender Wut gegen Hauswand und Scheiben. Im Widerschein der züngelnden Flammen flackerte ihm der Irrsinn übers Gesicht.
    Ein irres Stöhnen, das in ein wieherndes Lachen umschlug, entrang sich seiner Kehle. Er rieb sich die Hände, als wolle er sich am Feuer wärmen. Wie ein Wolf reckte er sein Gesicht dem Mond entgegen und stieß ein winselndes Geheul aus, das er für Triumphgesang hielt. Mit dem Fuß versuchte er, die Glasscherben der Flaschen, die an der Wand zersprungen waren, zusammenzuschieben, bis seine Hose Feuer fing.
    Entsetzt patschte er darauf. Die Flammen erloschen qualmend und hinterließen ein großes Loch im Stoff. Wieri duckte sich und sah sich um. Er rannte zurück zu seinem Wagen, stolperte, stieß noch einmal ein triumphal-irrsinniges Gelächter, „Ha-ha-ha-haaa“, hervor, das in einem röchelnden Keuchen endete, stieg ein und raste zurück in den Wald. Aus den zerbrochenen Fenstern von Adlers Wohnstube drang öliger Rauch. Die Flammen fraßen sich langsam, aber stetig an den dicken Vorhängen hoch.

15
    Rascheln und Keuchen,
im stumpfen Dunkel der Nacht
findet sich kein Weg
    Boris lag in einem unruhigen Schlummer. Er wälzte sich schwitzend unter seiner Decke und träumte von Szenen aus der Zukunft, die er – wie er sich vermeintlich klarmachte, als er einen Moment hochschreckte – doch noch gar nicht kannte. Ständig wechselnde Bilder schwebten ihm durchs Hirn, die mit seinem Erbe zusammenhingen. Oder mit Erika. Ach Erika. Trauriges Gelee umwabbelte sein Herz, wenn ihm ihr Gesicht im Traum erschien. Sie blickte ernst. Aber: War sie gleichgültig oder beherrschte

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