Dr. Poptlok Luktor und das Tor des Lichts (German Edition)
Wassergläschen und ließ den Zauberspruch verlauten. Dabei stellte er sich seine Großmutter vor. Die Blume blieb gerade stehen und zeigte sich in ihrer ganzen Schönheit. Nymus stellte eine zweite Blume dazu, dachte an seinen Großvater und führte den Zauber aus. Sie knickte um und verwelkte umgehend. Danach versuchte er den Zauber an seinen anderen Großeltern, den Eltern seines Vaters, die er nicht gekannt hatte. Die Blüten beider Blumen schlossen sich. Also gab es keine Aussage. Das war eigentlich vorauszusehen, da Nymus sie sich nicht vergegenwärtigen konnte.
Nun kam seine Mutter an die Reihe. Die Gänseblume reckte sich gerade und schien ihm mit ihrem Köpfchen zuzunicken. Und jetzt der Vater. Nymus biss sich auf die Lippen, als er mit bebenden Händen ein weiteres Gänseblümchen an das seiner Mutter lehnte. Ihm wurde schlecht vor Aufregung, und er musste erst mal hochhetzen, um die Toilette zu benutzen. Er blieb lange oben, so viel Angst hatte er vor dem Ergebnis, das ihm der Zauber offenbaren würde. Der Rat seines verstorbenen Großvaters, dreimal tief durchzuatmen, half ihm in diesem Fall nicht weiter. Langsam, sehr langsam stieg er die Holzleiter wieder hinunter. Seine Hand glitt über das dunkle, abgegriffene Holzgeländer, das sich kühl und sehr glatt anfühlte. Viel zu schnell berührten seine Füße wieder den rötlichen Steinboden, der sich gerade an dieser Stelle leicht nach unten wölbte, viel zu schnell bewegten sie sich auf den Tisch zu, auf dem ein verschütteter Tropfen Wasser im Licht der hereinstrahlenden Sonne funkelte. Als er zur Spüle eilen wollte, um einen Lappen zu holen, stoppte er abrupt.
„Nymus, so geht das nicht!“, schalt er sich selbst. „Klarheit ist besser, als in diesem aufreibenden Schwebezustand zu verharren. Leg endlich los!“
Er wandte sich wieder um, trat an den Tisch, wo er rasch mit seinem Ärmel über den Wassertropfen wischte, holte tief Luft und rief mit lauter Stimme, um sich selbst zu ermutigen, den Zauberspruch über die Blume, die er als Vaterblume auserkoren hatte. Dann schloss er die Augen.
„Feigling“, schimpfte er sich. „Mach die Augen auf!“
Mit zusammengekniffenem Gesicht öffnete er im Zeitlupentempo die Augen. So konnte er sie ruck zuck wieder dicht machen, wenn ihm das sich zeigende Bild nicht gefiele. Aber das war nicht nötig. Die Vaterblume hatte sich leicht der Mutterblume zugeneigt und präsentierte sich mit entfaltetem Blütenköpfchen.
Nymus stand starr und konnte seinen Blick nicht mehr von den beiden Blumen abwenden. Seine Angst war so groß gewesen, dass sie sich jetzt in einem Tränenstrom entladen musste, obwohl er über dieses Ergebnis hätte jubeln müssen. Oder war die Gefahr noch nicht ausgestanden? Nahte die Entscheidung erst noch heran? Nymus warf einen Blick auf die Uhr. Es ging bereits auf halb zwölf zu. Sein Vater hatte gesagt, die Entscheidung falle, wenn er aus dem Gefängnis entlassen würde. Nymus war davon ausgegangen, dass das am Morgen geschehe. Aber wenn schon alles vorbei wäre, hätte sich sein Vater bestimmt bereits bei ihm gemeldet. Es schien doch noch alles in der Schwebe zu sein.
Nymus hörte ein Geräusch vor der Wohnungstür. Die öffnete sich gleich darauf und Poptlok trat ein. Der war nach dem Unterricht aber schnell zurückgekehrt!
Diesmal war es Nymus, der Poptlok sehr genau musterte. Poptlok hatte seine Gesichtsmuskulatur angespannt, vor allem die Stelle zwischen seinen buschigen Augenbrauen. Der Mund wirkte zusammengepresst.
Er hängte seinen Zaubermantel, den er wohl der Schnelligkeit halber heute getragen hatte – er konnte damit fliegen –, an die Garderobe, zog nachdenklich die Sandalen aus, die er darunter platzierte und ließ sich auf sein Sofa sinken.
Er strich sich ein paar Mal über den Oberlippenbart, bevor er seinen Blick hob und den Jungen, der ihn immer ängstlicher fixierte, neben sich rief. „Setz dich zu mir her, Nymus; ich muss mit dir reden!“
Nymus schaute nochmal zu seiner Vaterblume, die nach wie vor frisch aussah, ehe er sich neben Poptlok niederließ. Sein Magen verkrampfte sich. Was war geschehen, was Poptlok so ernst machte?
Der wandte sich zur Seite ihm zu und streckte ihm seine geöffneten Hände entgegen. „Gib mir deine Hände!“
Nymus reichte sie ihm. Es schien jenen nicht zu stören, dass sie schwitzten. Poptloks große, kräftige Pranken umschlossen sie ganz und gar. Sie fühlten sich warm an.
Poptlok begann: „In der Pause bin ich ins
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