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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Natürlich machte ich Andeutungen. Ich stellte ihr kleine Fallen. Ich kam von der Arbeit nach Hause, machte ein Kompliment über den Duft des Essens auf dem Herd, schenkte mir einen Drink ein, setzte mich mit ihr hin und erzählte, wie mein Tag gewesen war, und dazu gehörte natürlich auch Corcoran. Ich ließ seinen Namen so oft wie möglich fallen und beobachtete ihr Gesicht. Sie zeigte nie eine Reaktion. Ich fragte sie, was sie von ihm hielt. Ach, sagte sie, er sei ganz nett. Netter, als sie gedacht habe. Inzwischen sei sie überzeugt, daß er sich sehr gut machen werde, und es tue ihr leid, daß sie ihn anfangs so negativ beurteilt habe. »Ja«, meinte ich, »ich hab’s dir ja gesagt.« Und dann, mit einem Lächeln, als wäre das alles bloß ein Scherz: »Und wie ist er so als Klette?«
    Sie hatte plötzlich zu tun: Auf dem Herd kochte ein Topf über, oder es mußte sofort eine Zwiebel geschält werden. Es war ein Scherz, natürlich war es das, und sie lachte nur. »Er ist bei allen Frauen so«, sagte sie. »Und bei Männern auch. Aber das weißt du besser als ich.«
    Wäre ich eine Schildkröte gewesen, eine von Darwins Galapagosschildkröten, die Prok oft erwähnte, dann hätte ich meine freiliegenden Körperteile unter meinen schützenden Panzer ziehen können, und auf eine metaphorische Art war es genau das, was ich tat. Wir fuhren nach Indianapolis, drei Kollegen auf einer gemeinsamen Mission, und Corcoran und ich saßen einander gegenüber am Tisch, als Prok uns eröffnete, daß wir entgegen dem Inhalt der Empfehlungsschreiben von Dean Briscoe, President Henry B. Wells und Robert M. Yerkes etwas Illegales, wenn nicht Unmoralisches tun würden: Heute nacht zumindest würden wir Spanner sein.
    Ich muß zugeben, daß der Gedanke daran mein Herz schneller klopfen ließ. Ich bin überzeugt, daß jeder von uns ein Voyeur ist, daß jeder darauf brennt, andere Menschen in ihren privatesten Augenblicken zu sehen, damit er diese mit seinen eigenen vergleichen und das erregende Gefühl der Überlegenheit genießen kann oder vielleicht, am anderen Ende des Spektrums, mit der harten, ernüchternden Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit konfrontiert wird. So
    also macht man das, denkt man dann. Das könnte ich auch. Oder etwa nicht?Na klar könnte ich, und zwar noch besser. Am liebsten jetzt gleich – sieh doch, wie sie sichan ihn klammert, wie sie sich ihm entgegenkrümmt, wie sie –
    Doch wir waren natürlich Wissenschaftler und überzeugt, daß unsere Verpflichtung zur Forschung Vorrang vor allen anderen Erwägungen haben sollte. Wie andere Wissenschaftler mußten wir Feldforschung betreiben und sexuelle Akte in allen Variationen beobachten – wie hätten wir uns sonst Experten nennen dürfen? Wie konnten unsere Daten die angestrebte Gültigkeit besitzen, wenn sie nur auf dem Papier standen? Wenn man es recht bedenkt, dann hätte alles, was wir taten, jede genaue Beobachtung, jeder Meßwert, angesichts von hundert bereits vorliegenden Studien eigentlich überflüssig sein müssen. Aber es gab keine hundert bereits vorliegenden Studien, es gab keine fünfzig – es gab nicht mal eine einzige. Wir hatten unsere Kultur geschaffen, wir hatten Kriege geführt und noch die kleinsten Dinge, die Mikroben und Atome, ergründet, und dennoch wollten die Moralapostel und Heuchler uns niederbrüllen. Sex ist schmutzig, sagten sie. Sex ist etwas Anstößiges, Privates, Obszönes, als Forschungsgegenstand ungeeignet. Nun denn. Wir standen auf, bezahlten und gingen hinaus in die Nacht, um ihnen zu beweisen, daß sie unrecht hatten.
    Diesmal regnete es nicht, ja für die Jahreszeit war es nicht einmal besonders kühl. Prok hatte keinen Mantel an, obgleich die Straßen hier und da noch Pfützen aufwiesen von einigen Wolkenbrüchen, die in der vergangenen Woche hier niedergegangen waren, doch er hatte Gummigaloschen über seine Schuhe gezogen. Corcoran trug seinen braunen Hut und einen hellbraunen Trenchcoat und sah aus, als wäre er soeben aus einem Film über feindliche Agenten und kriegsentscheidende Missionen getreten. Ich dagegen sah aus wie immer: Anzug, Krawatte, kein Hut, und meine Füße steckten in frisch geputzten Schuhen aus Pferdeleder und würden, wenn ich nicht scharf auf Pfützen achtete, eben naß werden. »Also gut«, sagte Prok und blieb an einer Straßenecke stehen, »ich glaube, wir müssen hier entlang, die Straße hinunter und dann einen Block nach links. Unsere Kontaktperson ist übrigens eine junge Frau.

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