Dr. Sex
Sie hat rotes Haar und heißt Ginger.«
Wir fanden Ginger ohne große Mühe. Sie trug ein billiges Pelzimitat, saß auf einer Bank im hinteren Teil einer Billardkneipe und trank irgendeine Limonade durch einen Strohhalm. Neben ihr fläzte sich ein Mann, sehr modisch gekleidet, mit greller Krawatte und einer Hose mit extrem weit geschnittenen Beinen, die seine dünnen Beinchen verbargen, jedenfalls so lange, bis er sich zurücklehnte, um sich eine Zigarette anzuzünden, und dabei die Knöchel kreuzte. Es war Gerald, Gingers Zuhälter, und er beäugte uns mißtrauisch, bis Prok mit einer kurzen Ansprache in breitem Slang, einer Spende von drei Dollar für den Unterhalt seiner Mitarbeiterinnen und dem Versprechen, einen Dollar für jede Geschichte, einschließlich der eigenen, zu bezahlen, sein Herz eroberte. Ginger war üppig gebaut und mindestens eins siebzig. Sie war zweiundzwanzig, von einer stämmigen Fleischigkeit, die sie mit spätestens dreißig verfetten lassen würde, und hatte den milchigen Teint einer echten Rothaarigen. Sie rührte sich nicht. Sie saugte mit ihrem roten Kußmund an dem Strohhalm und sah zu, wie ihr Zuhälter Proks Geldscheine zusammenfaltete und in den Tiefen seiner Hosentasche verschwinden ließ. »Okay«, sagte Gerald dann, »okay.« Lächelnd entblößte er hoffnungslos ruinierte Zähne in diversen Stadien der Verfärbung. Er sah zu Ginger, und das Lächeln verschwand. »Also, worauf wartest du? Setz deinen Arsch in Bewegung, und nimm diese Herren gleich mit.«
Dann waren wir draußen und wichen den Pfützen aus. Prok ging an Gingers Seite, als führte er sie zu einem Debütantinnenball, der, in reines weißes Licht getaucht, wunderbarerweise gleich hin- ter der nächsten Ecke stattfinden würde. Corcoran und ich folgten ihnen. Es war ein unbehaglicher Moment, und keiner von uns, nicht einmal Prok, sagte etwas. Ginger ging mit hypnotisierend rollen- den, wiegenden Hüften, und im Dunkel erschienen Gesichter und verschwanden wieder, mißtrauische Augen versuchten herauszufinden, ob wir Freier oder potentielle Überfallopfer waren. Ginger hatte ein günstig gelegenes Zimmer im Erdgeschoß eines viktorianischen Hauses, das dringend hätte renoviert werden müssen, und sie schwenkte wortlos zur Seite und öffnete die unverschlossene Tür, ohne uns hereinzubitten oder sich auch nur umzusehen, ob wir noch da waren.
Im Zimmer herrschte ein heilloses Durcheinander, aber das ist auch alles, woran ich mich erinnere. Außer, daß es recht hoch war und über einen begehbaren Schrank verfügte, der früher wohl eine Art Vorzimmer gewesen war. Man hatte über der Türöffnung einen Draht gespannt, an dem ein vom vielen Anfassen speckig gewordener Flickenvorhang hing. Im vorderen Teil baumelten an Drahtbügeln Gingers Kleider – es waren etwa ein Dutzend, und sie rochen nach ihren Achselhöhlen und dem Parfüm, mit dem sie vor den Freiern die Gerüche ihrer Vorgänger verbarg –, und Schuhe und Unterwäsche lagen auf dem Boden. »Da wären wir«, sagte sie mit hoher, flötender Stimme, die zu einer halb so großen Frau oder einem Kind gepasst hätte, und sie hielt die Hand auf, damit Prok seinen versprochenen Dollar hineinlegte.
»Klasse«, sagte Prok. »Einfach Spitze.« Er zog den Vorhang zurück, um die Örtlichkeit in Augenschein zu nehmen, und das Grinsen, mit dem er Ginger ansah, war beinahe dämonisch. Das Licht, schummrig und gelblich, stammte von einer Nachttischlampe, über die Ginger ein orangerotes Tuch gelegt hatte, und in diesem Licht wirkte sein Gesicht schwer von Zufriedenheit. Ich warf Corcoran einen Blick zu. Auch er sah aus wie ein Dämon. Ich fragte mich, was auf meinem eigenen Gesicht stand. »Das paßt«, sagte Prok und legte den Dollarschein in Gingers Hand, während wir die beiden anstarrten, als hätten wir noch nie gesehen, wie Geld den Besitzer wechselte. »Aber vielleicht könntest du mir noch einen Gefallen tun. Nur einen kleinen.«
Sie hatte sich umgedreht, um das Geld irgendwo an ihrem Körper zu verstauen, und fuhr nun argwöhnisch herum. »Kommt drauf an.«
»Wie wär’s« – Prok ging zur Nachttischlampe und entfernte das Tuch –, »wenn du das heute mal weglassen würdest? Außer es hängt dein Herz dran ...«
Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Okay«, sagte sie, »klar. Wer zahlt, sagt an.«
Während sie loszog, um ihren ersten Freier einzufangen (und ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe, aber »Freier« war der Ausdruck, mit dem
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