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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Gründen. »Wir sind allesamt erwachsen, Milk«, sagte er kurz angebunden. »Wir sind erwachsen und handeln aus freien Stücken. Niemand braucht meine Erlaubnis für irgend etwas.«
Ich lief jetzt neben ihm, und ich war noch nie so nahe daran gewesen, die Beherrschung zu verlieren: Mir lagen Anschuldigungen auf der Zunge, das weiß ich, und ich wollte ihm seine eigenen Worte ins Gesicht schleudern, doch was ich herausbrachte, war nur ein weiterer Beweis meiner Unzulänglichkeit, ein gequältes Jammern wie das eines Kindes. »Es frißt mich auf«, sagte ich, und obwohl ich mich immer fit hielt, hatte ich das Gefühl, als bekäme ich nicht genug Luft. Meine Beine pumpten automatisch, einatmen, ausatmen. »Ich liebe sie. Ich will sie zurückhaben.«
Wir gingen schweigend weiter, und ich kann Ihnen nicht sagen, ob die Sonne schien und die Eichhörnchen an den Bäumen emporkletterten oder ob ein Sturm tobte, denn ich war am kritischen Punkt angelangt, und nichts in der Welt der Erscheinungen konnte mich noch interessieren, es war alles nur ein Hintergrund für die Szene, die ich spielte: der verzweifelte Liebende, der gehörnte Ehemann, der Dummkopf im Narrengewand. »Sie will zu ihm ziehen, sagst du?« fragte Prok und sah mich mit diesem zupackenden Blick an.
Ich nickte. Wir gingen so schnell, daß ich beinahe traben mußte. »Die letzten drei Nächte hat sie bei ihm verbracht, und sie ... sie ist gestern nacht nur nach Hause gekommen, um ein paar Sachen zu holen, und sie hat gesagt« – es war lächerlich, es zu wiederholen, aber ich konnte nicht an mich halten –, »daß sie auch forschen will.«
Mit einem Mal standen wir still, mitten auf dem Bürgersteig. Ein Hand in Hand spazierendes Studentenpärchen ließ einander los, um rechts und links von uns vorbeizugehen, die Bäume über uns schwankten, und bis auf Proks Gesicht, seiner Brille, seinen Augen schien alles ringsumher in verschwommener Bewegung vorüberzurauschen. »Forschen?« sagte er. »Aber das ist absurd. Es ist falsch. Und das weißt du, John, besser als jeder andere. Habe ich nicht immer wieder betont, wie sehr unsere Arbeit von ihrer Wahrnehmung in der Öffentlichkeit abhängt?«
»Natürlich. Das hab ich ihr ja auch gesagt.«
Er reckte das Kinn. Der Wind, sofern es einen gab, ließ vielleicht die steife Welle seines Haars erzittern. »Wir können es uns nicht leisten, ihnen Munition zu liefern.«
»Nein, natürlich nicht.« Ich wollte den Blick abwenden. In meinen Augen war etwas Flüssiges – Tränen, meine ich –, und ich wollte mich nicht bloßstellen.
»Du und Mac, zum Beispiel – wohltuend für beide Seiten, wie ich es immer gesagt habe. Ein Geben und Nehmen von Freude und Lust. So sollte es sein. Wir müssen unsere Hemmungen überwinden und uns selbst so vollständig wie möglich ausdrücken. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Aber es muß streng vertraulich bleiben, und jeder von uns – nicht nur die Männer, sondern auch ihre Frauen – muß sich darüber im klaren sein, daß wir hier ein Teil von etwas viel, viel Größerem sind. Und daß wir unter Beobachtung stehen, daß man uns durch ein Mikroskop beobachtet, John. Das weißt du doch, oder?« Er hielt inne. Wir standen noch immer wie angewurzelt da, und Prok machte eine Bewegung, als wollte er den Weg fortsetzen, verharrte jedoch abermals. »Hat irgend jemand sie mit ihm gesehen? Hat jemand gesehen, wie sie in seine Wohnung gegangen ist?«
»Das weiß ich nicht«, sagte ich unglücklich. Ich betrachtete das Muster der Platten auf dem Bürgersteig. Ich konnte Prok nicht in die Augen sehen. »Aber ich glaube nicht, daß sich so was in einer Stadt, die so klein ist wie die hier ... Jedenfalls nicht für lange.«
Prok fluchte nicht. Er gebrauchte keine Kraftausdrücke und erzählte keine schmutzigen Witze – auch wenn er in späteren Jahren damit bombardiert wurde –, doch in diesem Augenblick, als wir dort auf der Straße standen, kam er dem Fluchen sehr nahe. Er spuckte etwas aus, irgendeinen lateinischen Ausdruck, und dann gingen wir weiter, und er murmelte etwas über Corcoran und machte sich Vorwürfe, daß er die Situation »nicht absolut klar dargelegt« habe, »so klar, daß jeder Idiot diese Wahrheit und die Notwendigkeit zur Diskretion versteht«. Wir überquerten die Atwater Street, dann die Third Street, bogen in den Fußweg ein und gingen auf die aufragenden Universitätsgebäude zu. »Tut mir leid, John«, sagte er und durchbohrte mich mit einem Blick, als wäre ich

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