Dr. Sex
derjenige, der seine Forschungsarbeit in Gefahr brachte, »aber das geht einfach nicht.«
Obwohl ihre Töchter noch keine Ferien hatten und daher eineinhalb Monate Unterricht versäumen würden, kam Violet Corcoran zwei Wochen später aus South Bend nach Bloomington und zog in die beengte Wohnung ihres Mannes in der College Avenue. Sogleich nahm sie die Dinge in die Hand: Sie eröffnete ein Konto beim Lebensmittelhändler, stellte einen Privatlehrer ein und setzte Lloyd Wheeler, den besten Makler der Stadt, auf ein passendes Haus an, mit einem Garten für die Mädchen, einer Garage für den Cadillac und schattenspendenden Bäumen, die die Sommerhitze linderten. Prok hatte mit Corcoran gesprochen – an jenem Morgen war er die Treppe im Institut für Biologie hinaufgegangen und energischen Schritts in das hintere Bürozimmer gestürmt, und dann hatte er sich Corcoran vorgeknöpft. Und fünf Minuten später hatte Corcoran mit Iris gesprochen, hatte sie in seiner Wohnung angerufen. Die ganze Zeit saß ich an meinem Schreibtisch und trank Kaffee, als wollte ich damit mein Blut ersetzen.
Wenn ich heute an die ganze Sache denke, muß ich Iris’ Unreife die Schuld geben. Sie war erst zwanzig, als wir heirateten, und hatte, wie gesagt, keine anderen Erfahrungen mit Männern gemacht. Vielleicht war das ungerecht, ja, ganz sicher war es das, insbesondere angesichts des Projekts, an dem wir alle arbeiteten, und der außerehelichen Beziehungen, die ich gehabt hatte. Sie war nicht imstande einzuschätzen, was sie tat, ihre Gefühle im Zaum zu halten und Prioritäten zu setzen – sie war verknallt, das war alles, so verknallt wie viele der jungen Mädchen, die wir über ihre ersten Verliebtheiten befragten. Vor allem aber war sie dickköpfig. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war sie schwer wieder davon abzubringen, und als sie eine Stunde später blaß und mit geröteten, verweinten Augen ins Büro trat, war ich nicht überrascht, sondern sank innerlich in mich zusammen. Prok stand gerade neben mir und verglich eine seiner Tabellen mit einer von meinen, und Corcoran, von dessen Gesicht das selbstzufriedene Lächeln endlich einmal verschwunden war, saß über seinen Tisch gebeugt im hinteren Zimmer. »Das können Sie nicht machen«, sagte sie.
Ich war im Nu auf den Beinen, noch bevor ich merkte, daß sie gar nicht zu mir gesprochen hatte. Corcoran drehte sich auf seinem Stuhl um, seine Augen lagen tief in den Höhlen. Er trug seine zweifarbigen Schuhe, das weiß ich noch, und begann eine Fußspitze auf dem Boden hin und her zu drehen, als träte er eine Zigarette aus. Prok legte mir eine Hand auf die Schulter, und ich spürte, daß eine Welle von Scham über mir zusammenschlug.
Iris rührte sich nicht. »Ich bin nicht Ihr Eigentum – und John und Purvis auch nicht.«
»Bring deine Frau bitte hinaus, Milk«, sagte Prok. »Bring sie nach Hause.«
»Nein«, sagte sie mit erhobener Stimme. »Nicht bevor Sie mir gesagt haben, wer Sie zu Gott gemacht hat.«
»Corcoran«, rief Prok über die Schulter, »würden Sie bitte mal kommen?«, und wir sahen zu, wie Corcoran sich erhob und mit steifen Schritten zu uns kam. Er stellte sich mit unsicherem Gesicht neben uns. Iris stand noch immer in der Tür.
»Also, Corcoran«, sagte Prok. Ich war nicht zu meiner Frau gegangen, ich hatte sie nicht berührt. Wir standen da wie drei Abwehrspieler, die den Ball erwarteten. »Sagen Sie mir bitte, ob Sie Mrs. Milk die Situation erklärt haben.«
Corcoran beugte den Kopf. »Ja, das habe ich«, sagte er.
»Entschuldigung, ich habe Sie nicht verstanden.«
Corcoran sah erst Iris und dann mich an. »Ja, das habe ich«, wiederholte er.
»Gut«, sagte Prok, »sehr gut. Wenn das so ist« – er trat auf Iris zu, nahm ihren Arm und führte sie in das hintere Zimmer –, »dann würde ich gern unter vier Augen mit Ihnen sprechen, Iris.«
Die Tür schloß sich, und ich setzte meine Arbeit fort.
Teil II - WYLIE HALL
1
Ich glaube, keiner von uns – weder Prok oder die anderen Mitglieder des engsten Kreises, noch President Wells, das NRC oder der Verlag W. B. Saunders Company in Philadelphia – hatte mit dem Wirbel gerechnet, der losbrach, als im Januar 1948 der Band über das sexuelle Verhalten des Mannes erschien. Prok hatte Saunders, einem farblosen seriösen Verlag für medizinische Fachliteratur, den Vorzug vor den großen New Yorker Verlagshäusern gegeben (die kamen, als sich die Sache herumsprach, allesamt gelaufen und klopften an
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