Dr. Sex
entschied ich mich für die Marke, die mir am besten schmeckte, die ich mir aber nicht leisten konnte, zündete eine an, nahm einen tiefen, beruhigenden Zug und überließ mich dem sanften Schwindel des Nikotins. Prok strahlte mich an. Er war der gütigste, freundlichste Mensch der Welt, und nach seinem Gesichtsausdruck hätte man meinen können, die Zigarette sei seine eigene Erfindung und er besitze die Mehrheit der Pall Mall Company. »Ich hoffe, daß die Vorlesungsreihe ›Ehe und Familie‹ Ihnen gefallen hat«, sagte er, »und daß alle Mißverständnisse, die bei Ihnen und Ihrer Verlobten möglicherweise bestanden haben – eine sehr charmante junge Frau übrigens, und schön, sehr schön –, ausgeräumt sind ...«
Ich wandte den Blick ab – ein Fehler, war es doch eine seiner Grundregeln, immer Augenkontakt zu halten. Für ihn war das der erste Indikator des Wahrheitsgehalts einer Aussage. Ich sagte irgendwas Unverbindliches. Oder vielmehr: Ich murmelte etwas sowohl Unverbindliches als auch Unverständliches.
»Keine Angst, Milk, niemand wird Sie beißen oder ein Urteil über Sie fällen, und es ist mir sehr wohl bewußt, daß zahlreiche Studentinnen und Studenten sich zu, sagen wir, geeigneten Beziehungen zusamengefunden haben, um Dean Hoenig und andere selbsternannte Hüter der Moral an der Universität und in der Stadt zufriedenzustellen.«
Ich klopfte mit der Zigarette an den Aschenbecher, betrachtete den perfekten Zylinder aus bleicher Asche, der hineinfiel, und sah Prok an. Ich spürte, daß ich rot wurde – die alte Entblößung. »Tut mir leid, Sir«, sagte ich.
Er winkte ungeduldig ab. »Es gibt nichts, was Ihnen leid tun müßte, Milk, überhaupt nichts. Ich will nur Informationen an Menschen weitergeben, die sie benötigen, und wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es keinerlei Zulassungsbeschränkungen für die Vorlesungsreihe gegeben. Aber erzählen Sie mir von sich – wie alt sind Sie?«
»Einundzwanzig.«
»Geburtsdatum?«
»2. Oktober 1918.«
»Stammen Sie aus Indiana, das heißt, sind Sie hier geboren?«
»Nein, in Michigan City.«
»Und Ihre Eltern?«
»Meine Mutter ist Grundschullehrerin in Michigan City. Mein Vater ist tot. Er starb bei einem Unfall auf dem See – das heißt, eigentlich weiß niemand genau, was damals passiert ist. Er wurde ... Der Leichnam wurde nie gefunden.«
Prok sah mich die ganze Zeit an, machte sich aber gleichzeitig Notizen auf einem Blatt Papier, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Ich hatte es gar nicht bemerkt, aber das Interview lief bereits. Prok hielt inne, um mir sein Beileid auszusprechen. Er fragte mich, wie alt ich beim Tod meines Vaters gewesen sei – ich war damals neun, es war kurz vor den Sommerferien, und mein Vater war ein begeisterter Segler und hatte das Boot den ganzen Winter und Frühling hindurch abgeschliffen und lackiert, und nun war es zu Wasser gelassen worden, und ich konnte an nichts anderes denken als an die langen, sonnigen Tage, die vor uns lagen und an denen wir frei und ungehindert über die kleinen Wellen gleiten würden wie der Gott, der das Wasser geschaffen hat, und der Sohn, der gekommen war, um darauf zu wandeln –, und dann sagte er, auch er habe ohne väterliche Führung auskommen müssen, jedenfalls von dem Augenblick an, als er aufs College gegangen sei und sich von dem erdrückenden Einfluß seines Vaters befreit habe. Nach dem Willen seines Vaters habe er Ingenieur werden sollen – ob ich mir das vorstellen könne? –, doch ihn selbst habe es zur Biologie gezogen. Biologie sei seine Leidenschaft. Mit einer beiläufigen Geste wies er auf das beengte Büro und die aufrecht stehenden großen Kästen mit den Tabletts, auf denen Insekten mit Stecknadeln befestigt waren. »Wußten Sie«, fügte er hinzu, »daß ich sechzehn neue Spezies der Gallwespe identifiziert habe?« Er schmunzelte. »Wäre es nach meinem Vater gegangen, dann wären sie noch heute unentdeckt.« Seine Augen leuchteten. »Die armen Dinger.«
Unsere Unterhaltung – denn genau das war es – hatte ihre eigene Logik, ihren eigenen Rhythmus gefunden. Je länger wir redeten (und es war beinahe, als spräche man mit seinem inneren Selbst oder vertraute sich unter vier Augen seinem Hausarzt an), desto genauer schien er zu wissen, was ich dachte und fühlte. Und das lag nicht bloß daran, daß er das, was er tat, meisterlich beherrschte – nein, man hatte das Gefühl, daß er aufrichtig Anteil nahm, und wenn mir das Herz brach, so brach es ihm
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