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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Geschlechts durch orale Techniken zum Orgasmus gebracht?«
Ich wandte den Blick ab, und er unterbrach die Befragung für einen Augenblick. Die Turmuhr am anderen Ende des Campus schlug sechs. »Milk«, sagte er, »John – ich möchte Sie noch einmal daran erinnern, daß es nichts, aber auch gar nichts gibt, dessen Sie sich schämen müssen. Sofern beide Partner einverstanden sind, gibt es keine sexuellen Aktivitäten, die sich qualitativ in irgendeiner Weise von anderen unterscheiden, ganz gleich, was die vorherrschende Moral der jeweiligen Gesellschaft dazu sagt. Wenn es Sie interessiert: In Ihrem Alter – und auch später noch – war mein eigenes Sexualleben dem Ihren sehr ähnlich.«
Aber vielleicht wäre dies ein guter Zeitpunkt, um die von 0 bis 6 reichende Zuordnungsskala vorzustellen, die Prok entwickelt hatte, um die sexuelle Ausrichtung einer Person zu evaluieren, eine Skala, die das gesamte Spektrum der geschlechtlichen Orientierung abdecken sollte, von »ausschließlich heterosexuell« (0) bis »ausschließlich homosexuell« (6). Sie müssen wissen, Prok glaubte – ebenso wie ich selbst inzwischen –, daß der Mensch von Natur aus pansexuell ist, daß lediglich die Beschränkungen der Gesellschaft, insbesondere der jüdisch-christlich oder muslimisch geprägten Gesellschaft, die Menschen daran hindern, ihre Wünsche und Bedürfnisse offen zu äußern, und daß dies der Grund ist, warum so viele Menschen an verschiedenen sexuellen Verhaltensstörungen leiden. Doch ich greife vor.
Als ich an jenem Tag in jenem Raum saß, ein Taschentuch an die Nase drückte und mich von Proks Präsenz leiten ließ, begann ich mich von einer Seite kennenzulernen, von der ich mir nie hätte träumen lassen. Was für mich ein Grund zur Scham gewesen war, wurde zu etwas ganz Normalem – Prok hatte als Jugendlicher ähnliche Erfahrungen gemacht und ebenfalls andauernd masturbiert –, und wenn ich sagen konnte, daß ich auf der Skala von o bis 6 bei i oder vielleicht bei 2 rangierte, so war das doch immerhin etwas, etwas Bedeutsames. Und wie alle anderen hatte ich Erfahrungen machen wollen, das war alles. Bei Mädchen war ich verlegen und gehemmt gewesen: Ich hatte sie auf ein Podest gestellt und nie als sexuelle Wesen, wie ich es war, betrachtet, als Menschen, die dieselben Wünsche und Bedürfnisse hatten wie ich. Und so war es ganz natürlich gewesen, daß ich mit den einzigen Partnern experimentiert hatte, die mir zur Verfügung standen, nämlich mit anderen Jungen, denn, wie Prok sagte: Jeder braucht eine Triebbefriedigung. Vielleicht erfaßte ich das an jenem Nachmittag in Proks Büro noch nicht in allen seinen Weiterungen, doch ich dachte an Laura Feeney, die vor mir auf ebendiesem Stuhl gesessen hatte, und daran, daß Prok sie gefragt hatte, in welchem Alter sie begonnen habe zu masturbieren, wann sie zum ersten Mal die unbekleideten Genitalien des anderen Geschlechts gesehen habe, wann sie zum ersten Mal einen erigierten Penis gesehen und zum ersten Mal eine Person des anderen Geschlechts zum Orgasmus gebracht habe, und ich fühlte mich wie Kolumbus, als Land in Sicht kam.
Als wir fertig waren, schlug die Turmuhr Viertel vor sieben, und Dr. Kinsey beugte sich über den Tisch und reichte mir eine frankierte und adressierte Postkarte: Dr. Alfred C. Kinsey, Professor für Zoologie, Institut für Biologie, University of Indiana. »Und dann«, sagte er, »brauche ich noch vier Maße, bitte.«
»Ja«, sagte ich und nahm wie in Trance die Karte – nein, er hatte mich nicht hypnotisiert, jedenfalls nicht im landläufigen Sinne, doch die Wirkung war ähnlich.
»Gut. Wenn Sie zu Hause sind, messen Sie bitte den Umfang des schlaffen Penis sowie seine Länge von der Bauchdecke bis zur Spitze. Wenn Sie dann ausreichend stimuliert sind, messen Sie Umfang und Länge des erigierten Penis. Ach ja, wenn Sie bitte auch den Grad der Krümmung angeben würden ...«
    Der Wind hockte in jener Nacht in den Bäumen und sammelte Kraft für einen kleinen Ausflug nach Kentucky, und gegen neun schleuderte er kompakte Eiskörner an die Fenster des Dachzimmers, das ich mir mit Paul Sehorn, einem anderen Studenten im vierten Studienjahr, in Mrs. Elsa Lorbers Studentenpension in der Kirkwood Avenue teilte. Es war ein altes Haus, das in den Fugen ächzte und keinerlei Hemmungen hatte, sich zu beklagen, besonders nachts. Es war in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts erbaut worden und noch immer recht solide, selbst nachdem eine ganze

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