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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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ebenfalls.
Und damit zum eigentlichen Gegenstand dieses Interviews: der Geschichte meines Sexuallebens. Wir hatten uns etwa fünfzehn Minuten lang unterhalten, als die erste diesbezügliche Frage auftauchte, so beiläufig, als ginge es lediglich um eine Einschätzung meiner Eltern oder ihrer Erziehung. Wir hatten über die Spielkameraden gesprochen, die ich als Junge hatte, und ich verlor mich in nostalgischen Erinnerungen – Gesichter, Namen, Orte trieben wie Dunst durch meine Gedanken –, als Dr. Kinsey mit seiner sanftesten, leidenschaftslosesten Stimme fragte: »Wie alt waren Sie, als Ihnen zum ersten Mal bewußt wurde, daß es zwischen Jungen und Mädchen anatomische Unterschiede gibt?«
»Ich weiß nicht. Ziemlich jung, glaube ich. Fünf? Sechs?«
»Zeigte man sich in Ihrem Elternhaus gelegentlich nackt? Ihre Eltern? Sie selbst?«
Ich dachte einen Augenblick nach und versuchte mich zu erinnern. »Nein«, sagte ich, »nein, ich glaube nicht.«
»Haben Ihre Eltern Ihnen befohlen, sich etwas anzuziehen, wenn Sie sich nackt gezeigt haben?«
»Ja. Aber das müßte dann, wie gesagt, in einem sehr frühen Alter gewesen sein, wahrscheinlich mit zwei oder drei. Oder nein, später. Es gab da eine Situation – da muß ich mindestens fünf gewesen sein, denn wir waren noch nicht in die Cherry Street gezogen. Es war ein heißer Tag, ich war mit meiner Mutter zum Baden an den See gegangen, und als ich aus dem Wasser kam, zog ich mir die nasse Badehose aus. Sie war wütend, und ich weiß noch, daß ich nicht verstand, warum.«
»Hat sie Sie bestraft?«
»Ja.«
»Körperlich?«
»Wahrscheinlich. Es war allerdings nicht das erste Mal.«
»Was war bei den anderen Malen?«
Jede Frage ergab sich logisch aus der vorangehenden, und alle Fragen kamen im Schnellfeuertempo: Sobald Prok eine Antwort erhalten und notiert hatte, stellte er die nächste Frage, und doch hatte ich nicht den Eindruck, verhört zu werden, sondern fühlte mich als Teilnehmer an einer sich immer weiter entwickelnden Unterhaltung über das faszinierendste Thema der Welt: mich selbst. Und die Fragen waren stets so formuliert, daß die Antwort möglichst präzise und unzweideutig ausfiel. Also nicht: »Haben Sie jemals masturbiert?«, sondern: »Wann haben Sie zum ersten Mal masturbiert?«, und: »Wie alt waren Sie, als Sie zum ersten Mal die unbekleideten Geschlechtsorgane Ihres eigenen Geschlechts sahen? Und die des anderen Geschlechts?« Und während sich der Befragte in Gedanken von der Kindheit ins Erwachsenenalter bewegte, richtete sich das Augenmerk mehr und mehr auf die sexuellen Praktiken – von relativ harmlosen statistischen Fragen (»Wie alt waren Sie, als Ihnen Schamhaare wuchsen?«) und Angaben zu Körpergröße, Gewicht und Rechts- oder Linkshändigkeit hin zu: »Wann haben Sie Ihren ersten Geschlechtsverkehr erlebt?«
Mir lief die Nase – auch ich war erkältet, wie alle in der Uni –, und ich war bei meiner vierten Zigarette angelangt und hatte ganz vergessen, wo und wer ich war, als die letzte Frage kam. Dr. Kinsey beobachtete meine Reaktion, mein Gesicht, seine Augen fixierten mich, die Bleistiftspitze verharrte über dem Papier. Alles in Ordnung,
    schien er zu sagen, was immer esist – es ist alles in Ordnung. Du kannst mir vertrauen. Und dann: Du mußt mir vertrauen.
    Ich zögerte, und in diesem Zögern war bereits meine Antwort. »Nie«, sagte ich. »Oder vielmehr ... Ich meine, noch nicht.«
Damals wußte ich es nicht, aber es gab eine Reihe Fragen – zwölf, um genau zu sein –, deren Antworten Rückschlüsse auf das sexuelle Verhalten gegenüber dem eigenen Geschlecht erlaubten, auf die H-Geschichte, wie Prok sie nannte, um niemanden zu erschrecken. An diesem Punkt setzte er sich auf dem Stuhl zurecht und räusperte sich. »Kommen wir noch einmal darauf zurück«, sagte er. »Wie alt waren Sie, als Sie zum ersten Mal die unbekleideten Geschlechtsorgane Ihres eigenen Geschlechts sahen?«
Ich sagte es ihm, und er verglich es rasch mit meiner vorherigen Antwort.
»Und wann haben Sie zum ersten Mal den erigierten Penis eines anderen Mannes gesehen?«
Ich sagte es ihm.
Und dann kamen die Fragen auf die Art, die wir später als die »Dampfwalzenmethode« bezeichneten, das heißt Schlag auf Schlag. »Wann haben Sie zum ersten Mal die Genitalien einer Person Ihres eigenen Geschlechts berührt? Wann haben Sie zum ersten Mal eine Person Ihres eigenen Geschlechts zum Orgasmus gebracht? Wann haben Sie zum ersten Mal eine Person Ihres eigenen

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