Dr. Sex
Bourbon versteckt, und wenn Prok nicht hersah, gab ich einen guten Schuß davon in jeden Becher außer seinem, denn er hätte es gewiß nicht gutgeheißen, daß wir in der Öffentlichkeit, bei einem Familienpicknick, Alkohol tranken.
Insbesondere Violet schien immer gelöster. Sie verschränkte die Hände hinter dem Kopf und streckte sich – sie war klein, aber sehr robust – auf der Decke aus, und Corcoran war unbekümmert wie immer und unterhielt uns mit Witzen und Wortspielen, trank von seinem Becher und leckte sich Fruchtsaft und Bourbon von der Oberlippe. Iris wurde nicht betrunken – und wenn doch, dann merkte man es nicht —, aber sie schien langsam von ihrer nervösen Lebhaftigkeit zu einer in sich gekehrten Ruhe zu kommen, die man als Zufriedenheit oder Behagen hätte deuten können, und auch sie hatte es sich auf ihrer Ecke der Decke bequem gemacht, während Prok redete und Corcoran und ich einander in gedämpftem Ton frotzelten und Mac ihr Strickzeug hervorholte und, im Gesprenkel des Halbschattens sitzend, Maschen zählte. Was mich betrifft, so hatte ich den Eindruck, daß die Welt, die vor kurzem noch aus dem Gleis geraten zu sein schien, mit einem Mal wieder zurechtgerückt war. Meine Kollegen machten sich einen schönen Nachmittag, und ich tat dasselbe. Die Sonne auf meinem Gesicht war wie ein Segen. Alles war gut.
Das heißt, bis wir gegessen hatten und die ersten Wolken – wirkliche und metaphorische – auftauchten. Mit der Wolkendecke kam eine leichte Kühle, und wir zogen Pullover und Jacken an (alle außer Prok, der barfuß und mit nacktem Oberkörper herumlief und nur seine khakifarbenen Shorts trug). Violet rief ihre Töchter herbei und half ihnen, identische Pullover anzuziehen, während Proks Kinder sich verabschiedeten und nach Hause gingen. Die andere Wolke warf ihren Schatten über uns, als wir in zwei Gruppen geteilt am Feuer saßen, das Prok wieder geschürt hatte, damit wir es wärmer hatten und die Mädchen Marshmallows rösten konnten. Mac, Iris und Corcoran saßen auf einer Seite des Feuers – ihre Gesichter waren durch die wabernde Hitze verzerrt –, Prok, Violet und ich auf der anderen.
Der Nachmittag verging, die Schatten wurden länger, die Sonne strebte dem Horizont entgegen, als hätte sie dort etwas Dringendes zu erledigen. Prok saß im Schneidersitz da und stocherte in der Glut. Er sprach über Gilbert Van Tassel Hamilton, den Psychiater und Autor des Buchs A Research in Marriage, und sagte, er sei ein mutiger Mann, doch die Resultate seiner Erhebungen ließen sehr zu wünschen übrig (die Befragten seien zu selektiert, ihre Anzahl zu begrenzt, die Schlußfolgerungen zu stark durch die vorgefaßten Meinungen und die moralischen und psychologischen Bewertungen des Verfassers beeinflußt und so weiter). Plötzlich verstummte er und sah von mir zu Violet Corcoran und wieder zurück, als wäre ihm gerade ein Gedanke gekommen. Violet hatte sich rücklings auf die Ellbogen gestützt und die Beine, züchtig übereinandergeschlagen, ausgestreckt. Ich war unbewußt Proks Beispiel gefolgt und saß im Schneidersitz da. Die Vögel begannen, sich Schlafplätze in den Bäumen zu suchen. Von der anderen Straßenseite hörte man den trockenen Knall eines Baseballschlägers und dann das Geschrei mehrerer Jungen, die dem Ball nachjagten.
Prok senkte die Stimme und beugte sich vor. »Wißt ihr«, sagte er, »ich hoffe, ihr beide lernt euch ein bißchen besser kennen, zu eurem eigenen Vergnügen selbstverständlich, aber« – eine Pause – »findet ihr nicht auch, daß es eine Art Symmetrie in unsere gegenseitigen Beziehungen bringen würde? Angesichts der Tatsache, daß deine Frau, John, und Ihr Mann, Violet, sich bereits miteinander vergnügt haben?«
Er sah erst mich und dann Violet an. Mein Herz hatte Aussetzer. Ich konnte nicht glauben, was ich gerade gehört hatte. Mein erster Gedanke war: Ist er verrückt geworden?, doch im nächsten Augenblick begriff ich, daß das, was er gesagt hatte, gar nicht so verrückt war. Ganz und gar nicht.
Violets Augen waren dunkel, beinahe so dunkel wie ihr Haar, und beherrschten ihr Gesicht. Sie war, wie gesagt, attraktiv, wenn auch nicht besonders hübsch, aber ihre Haltung und die Art, wie sie lächelte und ständig – es war fast ein Tic – ihre Schultern oder den Busen reckte, hatten etwas Sinnliches. Ich dachte, sie würde vielleicht lachen oder diese Aufforderung mit einem Witz kommentieren, doch sie überraschte mich. »Habe ich Sie
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