Dr. Sex
schaffte es, jedem von uns das Gefühl zu geben, ein unerläßlicher Bestandteil des Projekts zu sein, und das schloß auch die Ehefrauen ein. Wir waren wie Mitglieder einer Geheimgesellschaft. Auch die Kinder gehörten dazu – sie begriffen vielleicht nicht, was zwischen den Erwachsenen vor sich ging, doch ich bin sicher, daß es ihnen gefiel, in etwas Einzigartiges eingebunden zu sein.
Diese Zusammenkünfte unter freiem Himmel hatten etwas Freundliches, Entspanntes. Es herrschte eine familiäre Atmosphäre, die für jeden Betrachter deutlich spürbar, aber nie gekünstelt war. Wie bei allen anderen Familien war unser Nachwuchs immer dabei – Proks und Corcorans und später Rutledges und John junior –, und wenn die Nachbarn uns um einen rauchenden Grill versammelt sahen, während die älteren Kinder Ball spielten und die jüngeren Blumen pflückten oder auf Bäume kletterten, dann erkannten sie, daß auch wir die familiären Riten vollzogen, und alles war vergeben und vergessen. Vielleicht sagten sie: Sieh mal, da ist Dr. Sex mit seiner Frau
und seinen Kindern und seinen K ollegen und deren Kindern, und sie grillenWürstchen am Spieß wie alle anderen,und die Kinder fahren auf ihren Fahrrädern herum, und ich wette, die Ameisen haben heute einen Festtag, meinst du nicht auch? Damals veranstalteten wir eine Menge Picknicks.
Doch zurück zu diesem Picknick im Bryan Park, dem ersten, an dem die Corcorans en famille teilnahmen. Iris wollte nicht hingehen. Sie weigerte sich kategorisch, anfangs jedenfalls. Prok hatte ihre Affäre beendet. Er hatte hinter verschlossener Tür mit ihr gesprochen, ihr eine Predigt gehalten, sie zusammengestaucht, und sie hatte ihm nur gehorcht, weil alles andere mich meinen Job gekostet hätte, doch sie hegte einen Groll, und sie war verliebt, so ungern ich heute auch daran zurückdenke. Noch immer. Verliebt in Corcoran. Ich wachte an jenem Samstag früh auf und ging zum Lebensmittelladen, während in unserem größten Topf wirbelnd die gewürfelten Kartoffeln kochten, die ich gestern geschält hatte, und in einem kleineren Topf die hartgekochten Eier abkühlten. Ich kann nicht behaupten, daß ich mich auf das Picknick gefreut hätte. Seit der Szene im Büro tasteten Iris und ich uns vorsichtig aneinander heran. Ich hatte das Gefühl, daß wir Fortschritte machten, daß wir einander langsam wieder liebevoll und zärtlich begegnen konnten, und das wollte ich nicht aufs Spiel setzen.
Als ich vom Laden zurückkam, war sie noch im Morgenmantel. Das Grammophon war zu laut gestellt, und Takt für Takt, Zeile für Zeile machte Billie Holiday mit ihrem gelispelten abgrundtiefen Kummer alle Hoffnung zunichte. Ich hörte diese Stimme und hätte am liebsten eine Pistole gezogen und mich erschossen, doch Iris saß am Tisch, schnitt die Eier in Scheiben und hackte Zwiebeln, und als ich eintrat, sah sie mich mit einem wehmütigen Lächeln an. Ich sagte nichts, aus Angst, es könnte etwas Falsches sein, sondern stellte nur die Einkaufstüte auf den Tisch – ein 350-Gramm-Glas Mayonnaise, Paprikapulver und Apfelessig – und ging ins Schlafzimmer, um eine alte Decke zu suchen, auf die wir uns setzen konnten. Am Abend zuvor hatten wir über die praktische Bedeutung dieser Einladung gesprochen – Prok wollte, daß wir kamen, und darum würden wir hingehen, es gehörte zum Job, es gehörte zu unseren Verpflichtungen –, und ich hatte gespürt, daß Iris nachgab. Ja, es würde peinlich sein, da waren wir uns einig, und ja, Violet Corcoran würde auch dasein, aber wir mußten den Blick nach vorn richten, diese Sache hinter uns bringen, sie endlich überwinden, oder?
Ich hatte am Fußende des Betts gesessen und gedankenverloren an dem erhabenen Muster der Tagesdecke gezupft, während Iris am Kopfende gelehnt hatte, die Beine mit den wunderschönen Füßen lang ausgestreckt, Füßen, die einen eleganten Rist hatten und in Baumwollsöckchen steckten, Füßen, die ich liebte, wie ich alles an ihr liebte. Ich wollte alles wiedergutmachen, ich wollte sie zurück, ganz und gar, ihren Körper und ihre Seele.
»Wir stehen doch über diesen Dingen, Iris«, sagte ich. »Wirklich.
Sex ist eine Sache, und eine Ehe ist etwas ganz anderes. Bindung. Liebe. Das ist es, was wir haben. In dieser Konstellation ist kein Platz für ungezügelte Gefühle, das weißt du so gut wie ich. Wir sind Profis. Und das müssen wir auch sein.« Ich hielt inne und musterte ihr Gesicht, doch sie sah nur in das Buch auf ihrem Schoß
Weitere Kostenlose Bücher