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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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einer Frauenzeitschrift sagte, nachdem der Band über das sexuelle Verhalten des Mannes erschienen war. Man hatte sie nach Prok und seinen Reisen gefragt und ob sein unermüdlicher Einsatz für die Forschung nicht auch belastend sei, und ihre Antwort war vielsagend gewesen: »Seit er sich mit Sex beschäftigt, kriege ich ihn nachts kaum noch zu sehen.« Alle hatten gelacht – Clara Kinsey hatte ein Bonmot gesagt –, doch ich sah die Wahrheit dahinter.
Einmal – da war Rutledge schon zu uns gestoßen, und die KinseyKinder waren erwachsen und aus dem Haus – begleitete Mac uns auf eine unserer Exkursionen, einfach um dabeizusein, um zur Abwechslung mal etwas anderes zu tun als Hausarbeit. Ich weiß nicht mehr genau, wo es war, bestimmt in irgendeinem langweiligen College-Kaff im Mittleren Westen, das sich nur wenig von Bloomington unterschied, und wahrscheinlich war es Winter, so daß selbst die Landschaft trübselig wirkte. Wir gingen wie üblich in ein Hotel und bekamen zwei benachbarte Zimmer. Prok und Mac, Rutledge und ich – Corcoran war als Stallwache im Institut geblieben. Während wir die Befragungen vornahmen, war Mac auf sich allein gestellt. Vielleicht ging sie in den verschneiten Stadtpark oder stöberte in der Bibliothek oder einem Trödelladen, ich weiß es nicht. Wir aßen recht spät zu Abend und kehrten auf unsere Zimmer zurück. Ich nahm an, daß Prok und Mac zu Bett gehen und Rutledge und mich uns selbst überlassen würden, aber Prok war an jenem Abend besonders aufgedreht, ging auf und ab und ließ sich über seine Gegner – deren Zahl im Lauf der Jahre zugenommen hatte – und einige Kuriositäten aus, die in den Interviews des Tages aufgetaucht waren. Und über Filme. Er war damals einer der ersten, die das Paarungsverhalten verschiedener Tierarten auf Film festhielten, und ich weiß noch, daß er besonders begeistert von der Arbeit eines Professor Shadle von der University of Buffalo war, der offenbar die Paarung von Stachelschweinen gefilmt hatte. »Stachelschweine!« rief Prok immer wieder. »Stachelschweine! Könnt ihr euch das vorstellen? Mit all diesen Stacheln? Und trotzdem gelingt ihnen der Koitus – natürlich, sonst gäbe es die Art ja gar nicht mehr!«
Mac war dabei und scheute sich nicht, ihre Meinung zu sagen, und auch Rutledge beteiligte sich engagiert an der Diskussion, machte Einwürfe, rieb sich hin und wieder nachdenklich das Kinn oder winkte protestierend ab; ich saß nur da, eine Coca-Cola in der Hand, und hörte zu, hätte mir allerdings gern eine Zigarette angezündet. (Über Rutledge: Er war achtunddreißig und hatte in Princeton in Kulturanthropologie promoviert, ein adretter, geschmeidiger Mann mit einem sardonischen Lächeln, der leicht gebeugt ging und einen ganz schmalen Schnurrbart hatte, eine Hommage an seine iberischen Vorfahren mütterlicherseits, vielleicht auch an Duke Ellington. Dabei verabscheute Prok jegliche Gesichtsbehaarung, mit der Begründung, nur wer etwas zu verbergen habe, könne Gefallen daran haben, sein Gesicht zuwuchern zu lassen.) Nach einer Weile wandte sich das Gespräch von der Paarung der Stachelschweine dem menschlichen Sex zu, und Prok fand Gelegenheit, seinen üblichen Kommentar zum Tage abzugeben: Er behauptete mit Nachdruck, wir alle seien zu gehemmt, sogar wir, die hier Anwesenden, die wir in vorderster Front der Sexualwissenschaft standen. Rutledge schnappte nach dem Köder. »Ach, wirklich? Wieso?«
»Nimm zum Beispiel Mac«, sagte Prok und blieb unvermittelt stehen. »Eine attraktive, begehrenswerte Frau sitzt hier, mitten unter uns, während wir über Sex reden und reden, und keiner von uns hat auch nur daran gedacht, mehr aus dieser Situation zu machen, stimmt’s?«
»Wie meinst du das?« Rutledge lehnte an der Wand gegenüber. Auf dem Tisch neben ihm standen eine leere Limonadenflasche und ein Teller mit einem angebissenen Hamburger-Sandwich. Er strich sich nervös über den Schnurrbart.
»Wir könnten uns doch mit ihr vergnügen. Du bist dabei, Mac?«
Mac, die im Sessel saß und strickte, sah scharf auf und schlug dann die Augen nieder. Sie murmelte etwas, das wie eine Zustimmung klang, und ich spürte, daß ich am ganzen Körper taub wurde. Ich konnte sie nicht ansehen. Ich wollte aufstehen, zur Tür hinausgehen, hinaus in die dunklen Straßen einer Stadt, die ich nicht kannte und die mir gleichgültig war, ich wollte gehen, bis meine Beine nicht mehr konnten. Es war nicht Eifersucht, es war etwas ganz anderes, etwas, was

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