Dr. Sex
eingeladen, zu bleiben und Geschichten zu sammeln, und meist bat man Prok, einen kleinen Vortrag vor Mitgliedern des Lehrkörpers oder einer Bürgervereinigung zu halten. Wir hätten den Rest des Jahres so reisen können, wenn wir gewollt hätten – vielleicht auch für den Rest unseres Lebens, umherschweifende Gelehrte, Männer der Wissenschaft auf Beutezug –, aber natürlich hätte das Probleme gegeben, nicht nur, was die Zielrichtung des Projekts und die Korrelation der Daten zum Zweck der Publikation betraf, sondern auch im Hinblick auf unser Eheleben.
In der ersten Woche schrieb ich Iris täglich Postkarten mit pastellfarbenen Cowboys in Chaps oder mit Ölbohrtürmen vor einem Hintergrund voller Steppenhexen und Kakteen, und obgleich ich ganz begeistert war, versuchte ich, einen neutralen oder sogar leicht bedauernden Ton anzuschlagen und den Aspekt des erregenden Abenteuers herunterzuspielen, um bei ihr nicht irgendwelche Gefühle der Eifersucht oder des Grolls zu wecken. In der zweiten Woche schrieb ich jeden zweiten Tag, aus drei Sätzen bestehende Beschreibungen einer Mahlzeit – Frijoles und Tortillas mit einer scharfen Sauce aus gehackten grünen Tomaten und Chili, ein kulinarisches Wunder, wie ich es noch nie erlebt hatte – oder einer Stadt, einer Landschaft. Und dann schrieb ich nur noch jeden dritten oder vierten Tag oder wenn mir schuldbewußt einfiel, daß sie ja ganz allein zu Hause saß, in der beengten Welt der Wohnung, der Monotonie sich rechtwinklig kreuzender Straßen, und nicht mal die Arbeit bot eine Abwechslung, denn es waren Sommerferien, und was machte sie mit der langen Kette freier Tage? Schließlich schrieb ich ihr einfach, daß sie mir fehlte.
In Tucumcari fand ich ein Geschäft, in dem es mit Türkisen besetzten Silberschmuck gab, und kaufte ihr einen schweren Armreif mit einem Muster, das die Frau hinter der Theke als »aztekisches Blumenmuster« bezeichnete, und in Amarillo entdeckte ich einen Korb, der aus dem Panzer eines Gürteltiers gemacht war. Iris schrieb natürlich nicht zurück. Wir blieben ja nie länger als ein, zwei Tage an einem Ort, und unser Fortkommen gestaltete sich ohnehin sprunghaft. Natürlich gab es Telefone, aber Ferngespräche waren schrecklich teuer, von der Qualität der Verbindungen ganz zu schweigen. Ich hätte ihr wohl telegrafieren können, und sie hätte telegrafisch antworten können. Aber das tat ich nicht. Ich nahm mir vor, es nach meiner Rückkehr wiedergutzumachen.
Als wir endlich in Bloomington waren, hatte ich Heimweh wie noch nie in meinem Leben. In der letzten Woche waren der Reiz des Neuen und die Erregung angesichts des Reisens, der weiten, offenen Landschaft, der Longhorn-Rinder und alles anderen verflogen, und ich sehnte mich nach meiner Frau, ich sehnte mich nach ihr mit einem unstillbaren Verlangen, das mich wach hielt in der Enge des Zelts oder in dem anonymen Bett irgendeines der Motels oder billigen Hotels, in denen wir jede dritte oder vierte Nacht abstiegen, ich sehnte mich nach der schlichten Routine – ich würde morgens zur Arbeit gehen und abends heimkehren zu Iris – und nach dem beruhigenden Druck ihrer Hand, wenn wir unter dem Laubdach der Bäume die Straße hinunterspazierten, um in der Kneipe ein Bier zu trinken oder ins Kino zu gehen. Noch nie war ich so lange von zu Hause, von Indiana fort gewesen, und als wir bei Jeffersonville über die Staatsgrenze überfuhren, jubelte mein Herz.
Es war später Nachmittag, als Prok mich vor unserer Wohnung absetzte, und ich war mitsamt meinem Koffer ausgestiegen, noch bevor der Wagen ganz zum Stehen gekommen war – ja, danke, bis dann, wir sehen uns morgen im Büro –, und ich weiß noch, wie herrlich das Gras und die Dahlien am Weg und die Geranien auf dem Fensterbrett rochen. Ich hatte Schweißflecken unter den Armen, und das Hemd klebte mir am Rücken, aber das spürte ich kaum. Energie durchströmte mich, als ich auf die Tür zuging, mein Herz klopfte, und ich dachte nur an Iris und wie ich sie überraschen und ihr den Armreif und den Korb geben und ihr sagen würde, wie sehr sie mir gefehlt hatte und daß ich nie wieder bei einer solchen Exkursion mitmachen würde, oder jedenfalls erst in ferner Zukunft. Plötzlich zerriß ein Blitz den Himmel über der Ulme, und als ich die Vorderveranda erreichte, veränderte sich der Ton des Lichts von kupferrot zu silbern, und es kam ein Wind von Süden auf. In diesem Augenblick hörte ich durch das Fliegengitter am Vorderfenster Musik
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