Dr. Sex
eine neue Art von Herzschlag, die zu einem ganz anderen System gehörte. »Du hast mir auch gefehlt«, flüsterte sie.
Zehn Minuten später lagen wir aneinandergekuschelt auf dem Sofa und sahen zu, wie der Regen in Schwaden über die Fenster fegte und die Bäume beugte. Der Fäulnisgeruch verschwand, als das Gewitter losbrach, und wurde durch prickelnde Frische aus dem Norden ersetzt. Klare Tropfen fielen aus der Troposphäre herab, klopften blechern an die Dachrinne und tränkten das Stück Rasen vor dem Haus. Iris hatte mir einen Bourbon mit Wasser und sich selbst noch einen Gin Tonic eingeschenkt. Wir feierten, wir tranken auf meine Heimkehr, dabei war mir gar nicht nach Feiern zumute. Ich fühlte mich traurig und formlos, und ich wollte mit ihr ins Schlafzimmer gehen, um ihr auf die elementarste Weise zu zeigen, wie sehr sie mir gefehlt hatte, doch das wäre nicht richtig gewesen, noch nicht. Erst mußten wir reden.
»Er war schrecklich, nicht?«
»Wer?«
»Euer Mr. X.«
Ja, sie hatte recht gehabt. Ich nippte an meinem Drink und nickte. Sie hatte für mich etwas auf den Herd gestellt, aus Pflichtgefühl, nehme ich an, obgleich ich nochmals beteuert hatte, keinen Hunger zu haben – jedenfalls nicht auf Essen –, und nun kochte es, und der Deckel klapperte. »Ja«, sagte ich. »Eigentlich schon.«
»Ich wette, Prok war begeistert von ihm.«
»Prok nimmt solche Bewertungen nicht vor, das weißt du doch.«
Sie sagte nichts. Wir starrten hinaus in den Regen. »Tortillas«, sagte sie nach einer Weile und sprach das Wort mit einem harten L aus. »Das ist mexikanisch, oder?«
»Tortie-jas«, sagte ich. »Ja, stimmt. Es gibt sie in Texas. In New Mexico auch.«
»Und wie sehen die aus? Wie Pfannkuchen?«
»So ungefähr. Sie sind flach. Wie ungesäuertes Brot. Sie machen sie aus Mehl oder Maismehl, klopfen sie mit den Händen platt – die Indianer und Mexikaner –, und dann füllen sie sie oder löffeln damit Bohnen oder Reis oder irgendwas anderes.«
Sie schwieg einen Moment und nippte an ihrem Glas. »Ganz schön exotisch, hm? Du wirst doch jetzt kein Mexikaner werden, oder? Mit so einem – wie nennt man die noch mal? –, so einem Serape und einem Sombrero? Wie soll ich dich nennen? Don John? Oder lieber Don Juan?«
Ich beugte mich zu ihr und küßte sie. »Don Juan ist völlig in Ordnung. Aber ich wollte, du wärst dagewesen und hättest sie probieren können, auch die Frijoles und die Salsa. Und diese Dinger, die sie Tamales nennen und die in Maisblätter gewickelt sind. Die hätten dir auch geschmeckt. Bestimmt.«
Sie zuckte die Schultern. »Ja«, sagte sie, »bestimmt. Wenn ich je irgendwohin kommen würde.«
»Das wirst du«, sagte ich, »das verspreche ich dir.«
»Wann denn? Einen Urlaub können wir uns nicht leisten. Das ist ein Witz. Und meine Mutter ... Schon allein die Fahrt dorthin, schon allein die Busfahrkarte ist eine Belastung für unsere Kasse. Nein, John, behalt deine Tortie-jas.«
Es schien jetzt stärker zu regnen, ein mächtiges Rauschen, das alles andere übertönte. Ich wollte mich nicht streiten, ich wollte nicht, daß irgend etwas diese reine Wiedersehensfreude trübte und die Aussicht auf Sex gefährdete, auf ehelichen Verkehr, wir beide miteinander im Bett, nach fünf langen Wochen erzwungener Abstinenz, und ich glühte vor Verlangen, sie zu berühren, sie auszuziehen, meine Zunge in ihren Mund zu stecken und in ihren Haaren zu wühlen. Ich beugte mich vor, zündete mir eine Zigarette an und überlegte, wie ich die Situation entschärfen könnte. Iris war bitter, das konnte ich verstehen. Sie fühlte sich verlassen, als zöge das Leben an ihr vorbei, wogegen ich es voll auskostete – was nicht stimmte, nicht einmal annähernd, das habe ich wohl deutlich gemacht. Das Problem war weit verbreitet. Jeder Mann, der seinen Lebensunterhalt reisend verdiente, ob er nun bei der Armee oder bei der Eisenbahn war, Geschäftsmann oder Meteorologe, mußte seine Frau lange allein lassen – das gehörte bei manchen Berufen eben dazu.
Mac stand vor demselben Problem und hatte eine Möglichkeit gefunden, damit zurechtzukommen. Auch wenn sie es sich in der Öffentlichkeit nie anmerken ließ, wußte ich, daß sie frustriert war: Sie wollte dazugehören, aber für Prok war das Forschen die Sache einer Bruderschaft, und so kompensierte Mac, indem sie sich um die Kinder kümmerte, strickte und die Pfadfinderinnen anführte. Das Äußerste an Kritik war meines Wissens ein Satz, den sie in einem Interview mit
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