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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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gesammelten Materials geeignet sind, die Rezeption des Anfang nächsten Jahres veröffentlichten ersten Bandes nachteilig zu beeinflussen. Ich meine damit, wenn unsere Forschungsergebnisse jetzt veröffentlicht werden, und sei es in irgendeinem ... irgendeinem ...«
    »Käseblatt«, schlug Corcoran vor.
»... irgendeinem unbedeutenden Periodikum in irgendeinem unbedeutenden Provinzstädtchen, dann sind wir in Schwierigkeiten, und wenn du, Corcoran, oder du, Milk, wenn ihr denkt, das sei zum Lachen, dann fügt ihr unserem Projekt ebensoviel Schaden zu wie dieser sogenannte Journalist.«
    Das Lächeln auf Corcorans Lippen erstarb. Ich schlug die Augen nieder.
»Wenn diese Meldung bei den großen Nachrichtenmagazinen landet – bei Time oder Newsweek – , werden sie uns fertigmachen, noch bevor wir überhaupt angetreten sind.«
Schweigen. Von irgendwo in den Tiefen des Gebäudes hörte ich das Klopfen der Heizung. Rutledge war der erste, der etwas sagte. »Ich habe den Artikel nur überflogen, Prok, aber soweit ich sehen kann, stehen da gar keine konkreten Zahlen –«
»Ach nein?« Prok schwenkte die Zeitung, als hätte sie Feuer gefangen. »Und was ist damit: ›Aufgrund der unrealistischen und restriktiven Gesetze, sagte Dr. Kinsey, werde die Bevölkerung zu strafbaren Handlungen gezwungen; der Zoologe von der University of Indiana schätzt, daß die dreieinhalb Millionen Einwohner seines Heimatstaates jährlich etwa neunzig Millionen außereheliche Sexualakte vollziehend«
Rutledge saß kerzengerade auf seinem Stuhl. Er hob die Hand, um über seinen Schnurrbart zu streichen, überlegte es sich jedoch anders. »Na ja, ich sehe schon, was du meinst, aber mit so was geben wir doch nichts aus der Hand, wenn es das ist, was du befürchtest. Das ist nur eine Statistik von tausend. Zehntausend.«
»Da hat er recht, Prok«, warf Corcoran ein. »Oder vielmehr: Ihr habt beide recht. Die hätten das nicht drucken dürfen, die hätten nur eine allgemeine Zusammenfassung des Vortrags bringen dürfen, aber ich glaube, du machst aus einer Mücke einen Elefanten. Ich meine, das ist doch bloß ein Käse –«
»Und da bist du im Irrtum, Corcoran, ganz und gar im Irrtum. Jede Indiskretion schwächt uns. Und du, Rutledge, mit deiner Militärerfahrung, solltest das besser wissen als jeder andere. ›Feind hört mit‹ – so hieß es doch immer, nicht?« Prok ging jetzt auf und ab, steigerte sich immer weiter in seinen Zorn hinein und schwenkte abwechselnd die Zeitung und ballte die Faust. »Das Interesse da draußen wächst, und das wißt ihr. Sobald sie die Witterung aufgenommen haben, werden sie wie die Bluthunde hinter uns her sein, und sie werden die Zahlen aus dem Zusammenhang reißen und uns als Scharlatane hinstellen und in dieselbe Schublade stecken wie die Nudisten oder die Vegetarier oder die Leute von der Gesellschaft gegen Tierversuche. Stellt euch doch mal vor, was sie mit einer Tabelle wie der machen würden, die John neulich angefertigt hat, in der das Alter von Männern und Frauen zum Zeitpunkt der maximalen sexuellen Betätigung verglichen wird. Oder über die Häufigkeit von H-Aktivitäten. Oder über außereheliche Beziehungen.«
Niemand sagte etwas.
»Stellt es euch vor. Und macht euch auf einiges gefaßt. Denn es wird eine Invasion geben.«
Das war der Beginn der Paranoia, und während des ganzen Jahres, während Prok sich durch die Niederschrift des ersten Bandes kämpfte und wir Hollerith-Karten lochten und Berechnungen anstellten, während wir als Team durch das Land reisten, um Sexgeschichten zu sammeln, und Prok Vorträge im Mittleren Westen und in New York, Philadelphia, Boston und Washington hielt, verließ sie uns nie. Prok hatte in den vergangenen fünf Jahren über tausend Vorträge gehalten, und die Grundregel für jeden einzelnen davon lautete: keine Veröffentlichung spezifischer Daten, keine Statistiken, keine Sensationshascherei. Er verlangte nie ein Honorar (das tat er erst später, als Das sexuelle Verhalten des Mannes erschienen war und die Ausgabensituation des Instituts es erforderte), doch das allermindeste, was er von Veranstaltern und Publikum erwartete, waren Höflichkeit, Redlichkeit und Diskretion. Meist bekam er das auch. Aber hin und wieder sickerte natürlich etwas durch, wie im Fall dieser Kleinstadtzeitung aus Ohio, und als Das sexuelle Verhalten des Mannes sich der Vollendung näherte und die (streng bewachten) Fahnen gedruckt wurden, setzte sich die Presse auf diese Spur und

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