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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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versuchte auf jede nur mögliche Art, irgendwelche Informationen von uns zu bekommen. Wir erhielten Briefe, Telegramme und Anrufe, Leute aus so weit entfernten Gegenden wie Oregon, Florida oder Maine standen unangemeldet vor der Tür – einmal sogar jemand aus Lugano in Italien –, doch Prok erteilte allen eine höfliche, aber bestimmte Absage: Um zu verhindern, daß dieses sehr sensible Thema der Sensationslust zum Opfer fiel, würde es vor dem Erstverkaufstag keine Exklusivinterviews, keine Auszüge und überhaupt keinerlei Informationen geben. Und je mehr Absagen wir erteilten, desto hartnäckiger wurden die Anfragen.
Selbst ich wurde hineingezogen. Ich erinnere mich an einen Zwischenfall in jenem Jahr – es muß Ende Mai oder Anfang Juni gewesen sein. Iris’ Bauch war riesig, und es war schwül und drückend. Ich war überarbeitet und angespannt und spürte Prok im Nacken, der uns ständig antrieb – sein cholerisches Temperament bekam ich ebenfalls zu spüren, denn weder ich noch sonst jemand schien seinen Ansprüchen jemals zu genügen –, und nach einem langen Tag voller Berechnungen, Korrelationskoeffizienten, Mittelwerten, Durchschnittswerten und Standardabweichungen von den Durchschnittswerten wollte ich noch nicht gleich nach Hause gehen. Ich war ... melancholisch ist wohl das richtige Wort. Das Haus erforderte, wie Prok vorhergesagt hatte, mehr Aufmerksamkeit, als ich ihm widmen konnte – ein Sturm hatte die Dachrinne und die Hälfte der Schindeln über dem Schlafzimmer heruntergerissen, die Rohrleitungen waren so rostig, daß unser Wasser aussah, als wäre es in Kentucky destilliert und versteuert worden, und das war nur der Anfang: Termiten in den Balken unter den Bodendielen, Mäuse in den Wänden, Hausschwamm hinter der Badewanne – und der Dodge, meine Freude und mein Stolz, der einzige Besitz, den ich wirklich liebte, stand mit kaputtem Getriebe in Mike Martins Garage auf der Hebebühne. 8,3 Kilometer waren es bis nach Hause, ein anständiger Marsch, und auch in diesem Punkt hatte Prok recht behalten. Morgens hatte Corcoran mich abgeholt, und Prok hatte mir angeboten, mich heimzufahren, doch ich wollte ihm nicht zur Last fallen, und außerdem hatte ich, wie gesagt, gar keine Lust, schon nach Hause zu gehen. Ich rief Iris an und sagte ihr, ich wolle in der Werkstatt fragen, ob der Wagen schon fertig sei, und wenn nicht, würde ich wohl noch etwas trinken und mich später heimfahren lassen.
»Und wenn er fertig ist?« fragte sie mit dünner, entfernter Stimme.
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Warte jedenfalls nicht mit dem Essen auf mich.«
Kurzes Schweigen. In letzter Zeit lief es zwischen uns nicht so gut, wie es hätte laufen können, und das war meine Schuld, das gebe ich zu. Da war der Druck, unter dem ich in der Arbeit stand, da waren Iris’ Stimmungen und Launen – man hätte meinen können, sie sei die erste Frau in der Geschichte der Menschheit, die schwanger war. Sie nahm zu, sie versank in der Unbeholfenheit der Schwangeren, plattfüßig, aufgebläht, nachlässig in ihren persönlichen Gewohnheiten, und mich überkam ein Unbehagen, wenn ich an dieses Baby, an dieses Kind dachte. Ich nehme an, jeder Vater erlebt eine solche Phase: Gestern noch war man außer sich vor Glück, und heute denkt man, das ganze Leben sei vorbei. Doch vielleicht war es bei mir besonders schlimm. Vielleicht war ich doch noch nicht bereit dafür. Ärgerte ich mich über das Kind? Ärgerte ich mich darüber, daß meine Frau im achten Monat schwanger war und wir keinen ehelichen Verkehr mehr hatten und sie sich gestern abend geweigert hatte, mich mit dem Mund oder auch nur mit der Hand zu befriedigen?
»Ist gut, John«, sagte sie. »Du mußt mal ausspannen, nicht? Das verstehe ich. Dann geh und trink was, aber paß bitte auf, wenn du dann doch mit dem Wagen heimfährst.« Es klickte, und ich dachte, sie hätte aufgelegt, doch dann hörte ich wieder ihre Stimme: »Hat Mike übrigens gesagt, was die Reparatur kosten wird?«
»Ich weiß nicht. Fünfzig Dollar, vielleicht sechzig, siebzig. Keine Ahnung.«
»Ach, John.«
»Ja«, sagte ich. »Ich weiß.«
In der Kneipe war niemand, den ich kannte: ein paar Studenten aus dem neuen Jahrgang, zwei Männer meines Alters am Ende der Theke, vielleicht Privatdozenten oder Assistenzprofessoren, ein paar Frauen in Gesellschaft von Männern in Hemdsärmeln, die Jukebox lief, und der Barmann mit seinem verquollenen, konturlosen Gesicht hatte alles im Auge. Es war heiß, und

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