Dr. Sex
–, doch sie war nicht zu bremsen. Seit Wochen hatte sie gepackt, Listen geschrieben, Papiertüten und Pappkartons mit Klebeband verstärkt, verschiedene Dinge weggeworfen und andere besorgt. Am Tag des Umzugs band sie sich ein Tuch um den Kopf, kotzte ein letztes Mal in das Klo in der Elm Street und ließ sich und eine Ladung Kartons von mir vor Sonnenaufgang zu unserem neuen Haus fahren. Während mein Helfer und ich die Möbel aus der Wohnung trugen, befestigte sie neues Schrankpapier auf den Regalbrettern, und als wir (gemäß ihren sehr genauen Anweisungen) das Sofa und die Stühle aufstellten, waren alle Kisten, Kartons und Papiertüten leer. In den Schubladen lagen Unterwäsche, Socken und sorgsam gefaltete Hemden, die Speisekammer war eingeräumt, und der Aphrodite-Aschenbecher hatte einen Ehrenplatz auf dem Kaminsims.
An jenem Abend aßen wir Hamburger-Sandwiches und Pommes frites aus fettigen Papiertüten. Dazu tranken wir Cola, und ich bekam außerdem zwei oder drei schwerverdiente Bourbons mit Wasser. In einem Schuppen hinter dem Haus hatte ich einen Haufen Abfallholz gefunden, mit dem ich ein Feuer in Gang gebracht hatte, und nun saßen wir auf dem eben erst ausgerollten Teppich vor dem Kamin und aßen. Lange starrten wir einfach nur in die Flammen und waren zufrieden, zusammen hierzusein und unsere erste Mahlzeit im eigenen Haus einzunehmen. »Gott, ich liebe Feuer«, sagte sie und sah sich nach etwas um, woran sie sich die Hände abwischen konnte. Auf ihren Lippen war ein Fettschimmer. Hinter ihr, am Sofa, lehnten die vier Drucke, die die Wände unserer Wohnung geziert hatten, und ein viel größerer gerahmter Druck von Modiglianis Akt auf blauem Kissen, ein Einzugsgeschenk von Prok und Mac.
»Ich auch«, sagte ich und reichte ihr als Serviette die leere Hamburger-Tüte, denn keiner von uns hatte Lust aufzustehen.
»Aber die Tapete muß weg«, sagte sie. »Wir brauchen etwas Helleres, das mehr Licht reinbringt. Und der Rauch läßt im Lauf der Jahre alles nachdunkeln, diese kleinen Schwaden, die in den Raum ziehen. Deswegen will ich auch die Bilder jetzt noch nicht aufhängen – erst muß die neue Tapete dasein. Und die Möbel. Ich bin mir noch nicht sicher, wie die stehen sollen. Findest du, das Sofa sieht komisch aus, so mitten im Raum? Ich dachte, das würde eine Unterteilung schaffen.«
Ich sah zu, wie sie die fettfleckige Tüte zusammenknüllte und ins Feuer warf. Die Flammen loderten auf und fielen in sich zusammen, und ich zuckte die Schultern und sagte: »Ich finde es gut. Aber was immer du willst. Sag mir Bescheid, wenn du die Tapete aussuchen willst.«
»Ich weiß nicht«, sagte sie und ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Ich werde mir morgen welche ansehen. Ich wollte damit bis nach dem Umzug warten – man muß in einem Haus leben, um ein Gefühl dafür zu bekommen, hat meine Mutter immer gesagt. Aber die Wände sind zu dunkel, viel zu dunkel. Wir wollen doch nicht, daß die Leute denken, wir leben in einer Höhle, oder?« Sie hielt inne, biß sich auf die Unterlippe und sah durch mich hindurch. »Aber dieser Akt ... Ich weiß nicht ...«
»Was? Der Modigliani? Das ist ein berühmtes Gemälde, ein großes Kunstwerk. Ich hab gedacht, an der Wand da drüben, neben der Treppe, würde es sich sehr gut machen. Oder vielleicht da, neben dem Fenster.«
»Ich weiß nicht. Ein Akt. Was für eine Aussage ist das?«
»Gar keine Aussage. Es ist Kunst, sonst nichts. Nur ein Gemälde.«
»Ach, komm, John – vier Holzschnitte mit Szenen von Emily Bronte und ein Akt im Format hundert mal fünfundsiebzig?«
»Aber was ist mit Prok? Er ... er wird erwarten −«
»Ja«, sagte sie, und jetzt sah sie mich scharf an. Ihre Augen funkelten und fixierten mich wie zwei Flammenwerfer. »Prok, Prok, Prok.«
Draußen war es windig, und es herrschte Frost. Die Fenster klapperten, und wir lauschten auf die Geräusche des Hauses, fremde Geräusche, die Tag für Tag vertrauter werden würden, bis sie für den Rest unseres Lebens die Hintergrundmusik bildeten. »Laß uns das hier nicht kaputtmachen«, sagte ich. »Häng es auf, wo du willst, es ist mir egal.«
»Das ist aber nett, John«, sagte sie. »Sehr großzügig. Wie wär’s mit dem Schuppen? Wäre das gut? Findest du nicht auch, daß er mit diesem Akt gewinnen würde? Und jedesmal, wenn einer in den Schuppen geht, um eine Säge oder ... oder einen Schraubenschlüssel zu holen, würde er daran erinnert werden, wer die Butter auf unserem Brot
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