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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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bezahlt.«
»Hör auf«, sagte ich. »Hör einfach auf.«
Das Feuer jagte Schatten über die Wände. Der Kater, der auf der Suche nach Mäusen oder dem Geruch von Mäusen den ganzen Tag unermüdlich umhergeschlichen war, trabte durch den Raum und verschwand in dem dunklen Flur, der zur Küche führte. Ich stand auf und schenkte mir noch einen Drink ein. Die Flasche schmiegte sich in meine Hand, als wäre sie der vertrauteste Gegenstand in dieser neuen Umgebung, tröstlicher als die verpflanzten Möbel oder die Aphrodite, tröstlicher auch als Iris mit ihrem anklagenden Blick und der tragischen Unterlippe. »Es ist wirklich schade, daß du nichts trinken darfst«, sagte ich. »Ich glaube, dann wärst du ein bißchen entspannter. Du solltest dich freuen. Freust du dich nicht? Iris?«
Sie sagte nichts und ließ ihren Blick wieder durch den Raum wandern.
»Immerhin hat er uns das Geld geliehen«, sagte ich. »Das mußt du zugeben.«
    Der nächste Tag war ein Samstag, und wir arbeiteten von morgens bis abends und am Sonntag ebenfalls: Wir klebten Tapeten an und strichen die Wohnzimmerdecke in einem lichten, strahlenden, kaum abgetönten Weiß, wir putzten und stellten Möbel um, bis wir beide erschöpft waren. Unser erstes richtiges Essen im eigenen Haus war kein Festessen wie der Hackbraten, den Iris an jenem ersten Abend in unserer Wohnung für mich gemacht hatte (ich glaube mich an ein recht zähes Hähnchen von zweifelhaftem Alter zu erinnern, in einer Pfanne mit Kartoffeln und Karotten geschmort und aus Gründen der Arbeitsersparnis ohne Füllung, Sauce oder Salat). Es war Hausmannskost, zubereitet in unserem eigenen Haus. Unser Sohn (»Oder unsere Tochter«, erinnerte mich Iris) würde nicht in einer Mietwohnung aufwachsen, er würde seinen eigenen Garten haben, wo er mit einem Ball spielen oder auf der Schaukel, die wir aufstellen wollten, schaukeln konnte; oder vielleicht würde er auch seiner Mutter im Gemüsegarten helfen. Auf jeden Fall würde er hinausgehen und sich einen Apfel oder eine Birne pflücken können. Trotz des Geruchs nach Kleister und Farbe und der zweifachen Zugluft, die in zwanzig Zentimeter und zwei Meter Höhe durch das Wohnzimmer strich, fühlten wir uns wie im siebten Himmel.
    Aber dann war es Montag, und ich hörte Iris in das neue Klo (oder vielmehr das alte Klo im für uns neuen Haus) kotzen, fuhr sie zur Schule und dann weiter zum Institut, und die Routine setzte wieder ein. Als ich um acht ins Büro kam, sah Prok aus, als wäre er schon seit Stunden da: Er saß gebeugt am Schreibtisch, und das gleißende Lampenlicht beraubte seine Haut aller Farbe. Er blickte auf und nickte mir kurz zu, und es war, als trüge er eine Maske: In diesem Licht und aus diesem Blickwinkel wirkte er mit einem Mal uralt, Falten der Müdigkeit lagen unter seinen Augen und faßten die gespitzten Lippen wie Klammern ein, die Stirn war gefurcht, und zwischen Oberkiefer und Ohren verliefen vertikale Gräben. Sein Haar war grau durchzogen, die grauen Strähnen in dieser jungenhaften Tolle wirkten wie von Fäule befallene Halme in einem Weizenfeld. Wie alt war er überhaupt? Ich rechnete es im Kopf aus, während ich den Schal ablegte und den Mantel auszog: Im Juni würde er dreiundfünfzig werden. Ein Mann in den besten Jahren. Doch als ich ihn jetzt ansah, war ich plötzlich besorgt. Er treibt sich zu sehr an, dachte ich, er kämpft gegen ein schwaches Herz und eine uneinsichtige Welt an, und all seine Kraft, all sein Charisma, all seine unerschöpfliche Energie werden weder ihn noch sonst jemanden retten können. Ernüchtert saß ich da, und dann rief ich ihm quer durch den Raum zu: »Kann ich dir was bringen, Prok? Einen Kaffee vielleicht? Einen Doughnut?«
    Er hob den Kopf und sah mich an, als hätte er Mühe, mich einzuordnen, und nach und nach nahm sein Gesicht wieder die vertrauten Züge an. »Nein, danke, Milk. Aber ich brauche die Tabellen über ehelichen Verkehr, nach Bildungsgrad gestaffelt, noch heute vormittag, und wir werden eine Teambesprechung abhalten müssen.« Er hielt inne, nahm die Brille ab und rieb über seinen Nasenrücken. »Es ist etwas geschehen.«
    Corcoran und Rutledge kamen herein und lachten über einen Witz, und Mrs. Matthews begann mit ihrem Schreibmaschinen-Dauerfeuer. »Morgen, Prok, Morgen, John«, riefen meine Kollegen. Corcoran biß auf die Pfeife, die Prok ihn nicht im Büro rauchen ließ, und Rutledge zog bereits den Mantel aus. »Wie geht’s mit dem Haus voran, John?«

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