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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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der Deckenventilator brachte keine Abkühlung. Ich bestellte ein Bier und einen Bourbon und vertiefte mich in die Zeitung. Nach einer Weile – ich war wohl schon bei der zweiten Runde – bemerkte ich eine Bewegung zu meiner Rechten. Jemand war am Rand meines Blickfelds, und als ich geistesabwesend aufblickte, sah ich in das Gesicht von Richard Elster. Er lächelte, als freute er sich, mich zu sehen, und war in Gesellschaft eines Mannes – groß, mit schmalem Gesicht und einem teuer wirkenden dunklen Anzug, der für diese Gegend und Jahreszeit viel zu schwer war –, und auch er lächelte, als wären wir alte Bekannte. »Hallo, John«, sagte Elster, »schön, dich mal wieder zu sehen. Das ist Fred Skittering. Fred, das ist John.«
Wir schüttelten uns die Hand, und Fred Skittering sagte irgendwas über die Hitze, lockerte die Krawatte und öffnete den Kragenknopf. »Auf Förmlichkeiten können wir doch verzichten«, sagte er, »schließlich sind wir ja in Indiana, nicht?«
»Ja«, sagte ich, »das sind wir.«
Elsters Grinsen wirkte wie aus der Dose, und etwas in seinen Augen hätte mich stutzig machen sollen. Es waren Jahre vergangen, seit ich seine Hilfskraft gewesen war, wir sahen einander beinahe täglich auf den Korridoren des Instituts für Biologie, und doch herrschte zwischen uns immer eine gewisse Kälte. Er war, wie gesagt, ein Kleingeist, und obgleich Prok ihm die Aufsicht über den Teil unserer Bibliothek übertragen hatte, der weiterhin frei zugänglich war – die zahmeren Bücher also –, verzieh Elster mir nie, daß ich ihn überholt hatte. Wenn wir uns im Institut oder auf dem Weg vor dem Gebäude begegneten, nickte er mir kaum zu – und nun saß er pausenlos lächelnd Schulter an Schulter mit mir an der Theke, mit mir und seinem windhundgesichtigen Freund im Großstadtanzug. In meinem Kopf hätten Alarmglocken schrillen sollen, doch ich war mit anderen Dingen beschäftigt, sah von Elster zu seinem Freund und versuchte ebenfalls ein Lächeln. Ich nehme an, es lag an meiner Stimmung, daß ich froh über diese Gesellschaft war.
Ich sah zu, wie sie bestellten und sich Zigaretten anzündeten, sah, wie der Barmann mit schweren Schritten vom Zapfhahn zu ihnen kam und zwei Bier hinstellte. Fred Skittering trank seins in einem Zug aus, während Elster sein Glas mit beiden Händen zum Mund hob, als wäre er ein Priester, der einen winzigen Schluck aus dem Abendmahlskelch nahm. Beide stellten die Gläser zufrieden seuf- zend ab. Elster beugte sich vertraulich zu mir und sagte: »Mit Iris alles in Ordnung? Es ist ihr erstes, nicht?«
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Es war verblüffend: Er wußte nicht nur, daß ich verheiratet war, sondern auch, daß meine Frau ein Kind erwartete.
»Claudette ist übrigens auch schwanger – in drei Wochen ist es soweit. Unser drittes. Wir haben eins von jeder Sorte, und sie wünscht sich noch ein Mädchen, aber ich hoffe, es wird ein Junge.« Er beugte sich über sein Bier. Skittering lächelte ausdauernd. »Unsere Frauen haben denselben Frauenarzt«, fuhr Elster fort. »Du weißt schon – Proks Empfehlung. Er hat euch doch auch Bergstrom empfohlen, oder?«
Und wieder war ich verblüfft. Prok? Er nannte Professor Kinsey Prok? »Du ... Ich wußte nicht, daß du ... und Prok, das heißt...«
»Doch, doch. Wir haben oft über die Bibliothek gesprochen. Platz, wir brauchen mehr Platz.«
Skittering winkte dem Barmann. »Noch eine Runde«, sagte er, und in seiner Stimme hörte ich New York, Taxifahrer, schmale Gassen, Nachtclubs. »Auch für John hier«, sagte er. »Auf meine Rechnung.«
Die Biere kamen, begleitet von einem Glas Bourbon. Ich bedankte mich bei Skittering, und wir unterhielten uns ein bißchen. Was machte er eigentlich beruflich? Ach, herumreisen. Für eine Firma. Nichts besonders Aufregendes. »Und Sie?« fragte er.
Ich sagte ihm, daß ich für Dr. Kinsey arbeitete.
»Den Sexforscher?«
»Ich gehöre zu seinem Mitarbeiterstab.« Ich kippte den Bourbon runter und spülte mit einem großen Schluck Bier nach. »Ich war sogar der erste, den er eingestellt hat.« Ohne daß ich es wollte, schlich sich Stolz in meine Stimme. »Ich war von Anfang an dabei.«
»Tatsächlich?« sagte er. »Das klingt interessant.« Er legte den Kopf in den Nacken und kippte seinen Bourbon, während Elster unentwegt grinsend mit seinem Glas spielte. »Aber ... hm ... Sexforschung ... Wie macht man das überhaupt? Ich meine, man kann ja schließlich nicht mitten in der Nacht in

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