Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
Vom Netzwerk:
flüsterte, sowie Proks und Macs volle Unterstützung. Vor allem Macs. Sie verbrachte Stunden in unserem Haus, sie strickte und backte und plauderte sanft und gaumig mit meiner Frau, als wäre Iris eine ihrer Töchter und das Baby ihr eigenes Enkelkind. Meine Begeisterung schwankte, wie gesagt, von Tag zu Tag, doch das Ganze hatte etwas Unvermeidliches, und ich stellte fest, daß ich mich dem steten Sog ergab. Und ich wußte, was da geschah. Das immerhin.
    Als der Geburtstermin näherrückte, überzeugte ich mich davon, daß der Wagen – mit repariertem Getriebe – anstandslos lief und der Tank gut gefüllt war. Alles war bereit für eine schnelle Fahrt zum Krankenhaus. Der 20. fiel auf einen Freitag, und ich ließ Iris nicht gern allein, doch sie versicherte mir, sie fühle sich sehr gut, ich solle nur in der Nähe des Telefons bleiben. Während der entnervend ereignislose Morgen langsam in den gletscherartig dahinknirschenden Nachmittag überging, war ich kaum imstande, mich zu konzentrieren. Ich ging früh heim – Wie ging es ihr? Unverändert – und bereitete ein leichtes Abendessen aus Nudelsalat und Dosenobst. Dann saßen wir im Wohnzimmer, hörten Radio und warteten. Als Iris aufstand, um ihre Tasse auszuspülen, bemerkte ich, daß ihr Morgenmantel feucht war und an ihren Beinen klebte. Erschrocken starrte ich sie an. »Iris«, sagte ich, »du bist ganz naß, weißt du das?«
    Sie hatte sich mit einer Hand an der Spüle abgestützt, und jetzt tropfte es aus dem Morgenmantel. Ich sprang vom Sofa auf und packte sie unter den Armen, als stünde sie am Rand eines dunkel gähnenden Lochs und könnte mir jeden Augenblick entgleiten. Die Worte hallten in meinem Kopf wider – Fruchtblase, Dilatatio cervicis
    Uteri, Oxytocin – , aber dennoch fühlte ich mich vollkommen hilflos. Sie hing schwer in meinen Armen, lächelte schwach und sagte: »Ja, ich glaube, es ist soweit.«
6
    Es war die übliche rasende Fahrt zum Krankenhaus. Das Gesicht der Kreißenden war bleich und angespannt, die Hand des werdenden Vaters lag zitternd auf dem Schalthebel, und in seinem Kopf erzeugte die Aufzählung all der Dinge, die schiefgehen konnten, ein weißes Rauschen – Catherine Barkley und ihr Kind tot im strömenden Regen, der Junge am Ende des Blocks, eine Zangengeburt, der mit seinem verknautschten Gesicht wie ein unfertiges Bild aussah, die Mißgebildeten, die geistig Behinderten, die hoffnungslosen Fälle, die Totgeburten –, und dann stand am Eingang der Notaufnahme der Rollstuhl bereit, und die beiden saßen in der Anmeldung, füllten Formulare aus und beantworteten idiotische Fragen, bis der werdende Vater die Schwester am liebsten in den Schwitzkasten genommen und gezwungen hätte, den Aufenthaltsort von Dr. Bergstrom preiszugeben. Wo war er? Wußte er nicht, was hier los war?
    Doch ich sagte nichts. Rührte keinen Finger. Saß nur auf dem unerträglich heißen Stuhl und hielt Iris’ Hand, während die Schwester plapperte und Tinte aus dem Füllfederhalter auf die Formulare floß und die Welt sich ungerührt weiterdrehte. Iris sah gräßlich aus, ganz bleich, und ihre Brauen wirkten, als wären sie Haar für Haar über den leer starrenden Augen aufgemalt. Sie hatte sich auf den Stuhl sinken lassen, niedergedrückt von dem schrecklichen Gewicht der Kugel, die sie mit sich herumschleppte, die Zähne zusammengebissen, die Arme schlaff herabhängend. Wie nicht anders zu erwarten, krochen die Zeiger der Wanduhr dahin. Wolken trieben über den Himmel. Unvermittelt stieß Iris einen lauten, aspirierten Schrei aus, und die Schwester lächelte. Dann wurde sie endlich von zwei Pflegern mit einer Rollbahre abgeholt. Sie brachten sie zur Entbindungsstation, und dann geschah nichts, absolut nichts.
    Nach etwa einer Stunde durfte ich zu ihr. Der Vorhang um das Bett wurde zugezogen, damit wir etwas Privatsphäre hatten. Iris’ Lider waren geschlossen, die Arme lagen ausgestreckt neben dem Körper. Sie hatte alle Farbe verloren und hätte ebensogut bereits tot sein können, aufgebahrt in einem Bestattungsinstitut. In heftiger Erregung und Angst, und weil ich mich in diesem Augenblick so schwach und hilflos fühlte, nahm ich ihre Hand, und sie riß die Augen auf. »John?« sagte sie.
    »Ich bin’s«, sagte ich. »Ich bin da.« Es war ein Filmdialog, und ihr Gesicht wurde ständig von Helen Hayes’ Gesicht überlagert. Würde jetzt der Liebestod kommen und uns davontragen? »Wie sind die Wehen? Sind die Abstände kürzer geworden?

Weitere Kostenlose Bücher