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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Corcoran?«
»Ja«, sagte sie. »Purvis ist, wie du wahrscheinlich weißt, ein guter Freund von mir.«
Ich beherrschte dieses Spielchen nicht sehr gut, aber in meinen Blutbahnen kreiste Alkohol, und der gab mir immer das Gefühl, unschlagbar zu sein. »Das habe ich mir gedacht«, sagte ich, »als ich euch das letzte Mal gesehen habe.«
Sie ignorierte meine Bemerkung. Wandte sich wieder dem Steak zu. Nahm einen Pommes-frites-Stengel und leckte mit raschen rosigen Zungenbewegungen das Salz ab, bevor sie ihn knickte und in den Mund steckte. »Um deine Frage zu beantworten«, sagte sie. »Nein, ich bin keine Professionelle, was immer das heißen soll. Ich nehme kein Geld dafür, wenn es das ist, was du meinst, und das steht auch in dem Interview-Protokoll.«
Sie sah mich mit einem trotzigen Blick an, genau dem Blick, den sie an jenem Abend in Proks Wohnzimmer aufgesetzt hatte, als wir auf unseren Plätzen hin und her gerutscht waren und versucht hatten, den Mut aufzubringen, die Sache zu Ende zu bringen. »Ich mag Männer«, sagte sie. »Ist das ein Verbrechen?«
»Nein«, sagte ich, »das ist kein Verbrechen.«
Und dann lachten wir beide, lachten wie verrückt, und sie legte hilflos eine Hand auf mein Bein, um sich abzustützen. Die Jukebox erwachte zum Leben – bis dahin war mir gar nicht bewußt gewesen, daß sie verstummt war – und spielte etwas ziemlich Schwungvolles, und wir lachten zu Ende und fühlten den Beat als Vibration in der Tischplatte, in den Gläsern, die wir hielten, in der Sitzfläche der Bank, die wir teilten. Andere Paare standen auf, um zu tanzen, und meine Finger trommelten wie von allein den Rhythmus. Ich überlegte, ob ich sie auffordern sollte, obwohl ich kein guter Tänzer war, sagte aber statt dessen: »Und was machst du dann – beruflich, meine ich?«
Sie sah mich an. Auf ihrem Haar war ein bläulicher Neonschimmer. »Ich bin Krankenschwester«, sagte sie.
»Tatsächlich? Na, das ist ja ... Klasse. Wirklich. Krankenschwester. Das ist sicher ... interessant.«
»Du würdest dich wundern«, sagte sie, ließ den Blick durch den Raum wandern und wandte sich wieder zu mir. »Aber weißt du, was?«
»Was?«
»Weißt du, was ich richtig gut finde? Nach einem guten Essen?« Sie beugte sich zu mir, so daß ihre Stirn beinahe die meine berührte, und ich roch den Martini, ihr Parfüm und den Geschmack des Steaks auf ihren Lippen.
»Nein«, sagte ich. »Was?«
»Wirklich keine Ahnung?«
    Am 20. Juni, kurz nach dem Abendessen, setzten bei Iris die Wehen ein. Sie hatte am Tag zuvor leichte Vorwehen gehabt, und am Morgen war Blut in ihren Vaginalsekreten gewesen, gefolgt von blutigem Schleim. Beides war normal und wies darauf hin, daß der Blasensprung und damit der Geburtsvorgang bevorstand. Meine Unwissenheit über diesen ganzen Prozeß war geradezu unglaublich (man denke nur an meine Frage, ob das Baby schon trete – wo doch selbst der unwissendste, ungebildetste Mensch weiß, daß das nicht vor der sechzehnten Schwangerschaftswoche sein kann), und Prok hatte mich ermuntert, dem abzuhelfen, nicht nur »zu deinem eigenen Besten, weil du dann den Prozeß der Entwicklung des Lebens besser begreifst«, wie er sich ausdrückte, sondern auch, weil ich dann einen besseren Rapport mit weiblichen Probanden würde herstellen können. Und er hatte recht: Ich wußte nun, was sie durchmachten, wovor sie Angst hatten, wie auf die Lust des Geschlechtsakts der Schmerz der Erkenntnis und dann die Qual der Abtreibung oder der Geburt folgte. Obgleich er geschäftiger und gehetzter war denn je, fand Prok die Zeit, sich wöchentlich nach Iris’ Befinden zu erkundigen — nach dem Anschwellen ihrer Brüste, dem Erscheinen der Linea nigra, die sich wie ein dunkler Kreidestrich über den gewölbten Bauch zog, dem Sichsenken des Fötus und dem Sichweiten des Muttermunds – und hielt mir jedesmal einen kleinen Vortrag. Worte wie »Blastozyste« und »Gonadotropin«, »Endometrium« und »Progesteron«, die ich vielleicht im Einführungskurs Biologie irgendwann aufgeschrieben und umgehend wieder vergessen hatte, waren mir so geläufig wie der Tabellenstand der Baseball-Liga, den ich in der Morgenzeitung las.
    Im Grunde hatten wir Glück. Wir hatten nicht nur Literatur zum Thema (darunter auch ein hervorragendes und umfassendes Buch von Benjamin Spock, einem Mediziner von der Columbia University), wir hatten nicht nur den erfahrenen Dr. Bergstrom, sondern auch die Ratschläge, die Iris’ Mutter durch die Überlandleitungen

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