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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Laune«, sagte sie.
    »Ja«, sagte ich. »Tut mir leid.« Ich dachte an die Universalgleichung jeder Beziehung, daß Sex gleich Liebe gleich Babys, Hypotheken und offengelassene Kellertüren ist und Liebe nichts weiter als eine hormonelle Funktion, reine Chemie, genau wie Wut und Haß. Aber ich hatte ein Bier in der Hand und ein Dach über dem Kopf, mein Sohn war da und meine Frau, und was wollte ich mehr? Andere Frauen, andere Söhne, andere Dächer? Ich war aufgeräumt. Zufrieden. »Hör mal«, sagte ich, »wie wär’s, wenn ich ein Feuer mache? Würde dir das gefallen?«
    »Ja, das wäre schön.« Sie saß auf der Armlehne des Sessels und ließ ein Bein baumeln, ihr schönes Bein, den Knöchel, den Fuß in dem anliegenden Filzschuh. »Aber ich will etwas mit dir besprechen – und sieh mich nicht so an, es ist nicht das, was du jetzt denkst. Ich ... ich will, daß du mir Autofahren beibringst. Violet und Hilda können überall hinfahren – Violet sagt, ohne Wagen wäre sie aufgeschmis- sen –, und sogar Mac fährt mit dem Wagen, und wenn du die ganze Zeit weg bist –«
    »Bin ich ja nicht. Ich bin nicht die ganze Zeit weg. Werde ich auch in Zukunft nicht sein.«
»- und ich hier ganz allein bin, wochenlang.«
»Zehn Tage.«
»Na gut, zehn Tage. Aber ich bin hier angebunden. Was ist, wenn John junior etwas braucht? Wenn mir das Mehl ausgeht – es ist mir ja auch ausgegangen – oder, ich weiß nicht, wenn ich mich einfach langweile? Weißt du eigentlich, wie sehr ich mich hier draußen langweile? Ist dir das eigentlich klar?«
    »Du wolltest doch dieses Haus.«
»Du aber auch.«
Ich starrte in die schwarze Höhle des Kamins. Kalte Asche, in der die Reste verkohlter Stöcke lagen wie Knochen im Krematorium.
    Am anderen Ende des Zimmers sprach John junior mit seinen Lastwagen. »Böser Junge!« sagte er immer wieder. »Böse!« Die Eiscreme lag im Kühlfach, der Beutel mit den Pistazien ungeöffnet auf der Arbeitsfläche. Ich sah meine Frau an. »Wann willst du anfangen?«
    Zunächst war ich widerwillig – ich fühlte mich zu etwas gezwungen, für das mir sowohl die Zeit als auch die Geduld fehlten –, doch schon nach einer Fahrstunde sah ich meinen Fehler ein. Ich kann natürlich nicht für Iris sprechen, aber für mich gehören die folgenden Wochen zu den schönsten, die wir miteinander verbracht haben. Ich hatte John junior auf dem Schoß, Iris saß an meiner Seite, hellwach und konzentriert, und ihre Hände umklammerten das Lenkrad, während sie die Mysterien des Wechselspiels von Gas- und Kupplungspedal ergründete. Wir lernten die kleinen Seitenstraßen kennen, wir sahen die Hügel einen nach dem anderen auf uns zurollen wie Wellen auf einem Asphaltmeer, wir fuhren nach Lust und Laune herum und hielten für einen Milkshake oder einen Hot dog oder um einfach irgendein Bachbett ein Stück weit hinaufzugehen, uns auf einen Baumstamm zu setzen und ein Sandwich zu essen. Und dann stiegen wir wieder ein. Kupplung, Gas, ein Ruck vorwärts, Stille, das Knirschen des Anlassers, Kupplung, Gas, ein Ruck vorwärts, wieder Stille. Ich weiß nicht, was es war, es hatte wohl etwas mit ihrer Zerbrechlichkeit zu tun, mit ihrem engumrissenen Wunsch und meiner Fähigkeit, sie anzuleiten ( »Da vorn links«, sagte ich, »dritter Gang; hier anhalten; und jetzt den Rückwärtsgang«), aber ich denke gern an diese Zeit zurück. Ich blieb gelassen und erhob nie die Stimme, nicht einmal, als sie einem tollkühnen Eichhörnchen auswich, von der Straße abkam und drei lange Schrammen in den vorderen rechten Kotflügel machte. Gestatten Sie mir, diesen Vorfall etwas ausführlicher zu schildern, denn er ist bedeutsam – vielleicht nicht in Proks Sinne, aber in meinem. Es war am Tag nach Thanksgiving, die Sonne war bleich, Iris fühlte sich bereits sicherer, die Reifen rollten über den Asphalt, und ich ließ meine Gedanken schweifen, als das Eichhörnchen unvermittelt über die Straße sauste und meine freie Hand einen Augenblick zu spät nach dem Lenkrad griff. Es gab einen kleinen Aufprall, man hörte das Kreischen von Metall auf Stein, und dann stand der Wagen. Erschrocken begann John junior zu wimmern, und das Wimmern steigerte sich in Umfang und Lautstärke, bis er aus vollem Halse schrie, obwohl keiner von uns auch nur einen Kratzer hatte. Iris war kaum schneller als dreißig gefahren.
    Während John junior sich warm schrie, preßte Iris ein dünnes Stimmchen durch ihre zusammengeschnürte Kehle. »O Gott, ich hab ihn

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