Dr. Sex
Spezialgebiets vom Tragen schwerer Lasten befreit worden: Er war zunächst Künstler und dann erst Techniker, und sein Reich war das Fotolabor. Er kam etwa um diese Zeit nach Bloomington, mit einem Koffer voller Kleidung und zwei Kisten voller fotografischer Apparaturen, und machte sich sogleich daran, sie in unserem neuen Institut (oder »Laboratorium«, wie Prok es nannte) aufzubauen. Er hatte New York noch nie in seinem Leben verlassen und kam uns manchmal ein bißchen verloren vor, wenn er mit Sonnenbrille und Trenchcoat durch die Straßen von Bloomington ging, als wäre er in der U-Bahn eingeschlafen und am falschen Bahnhof ausgestiegen, aber Prok hatte ihm ein sehr gutes Angebot gemacht (sein Anfangsgehalt war höher als meins, aber das war ja nichts Neues – ich stand und stehe immer ganz unten auf der Leiter), und die Arbeit eines Berufsfotografen – die ewigen Hochzeiten, Bar-Mitzwas und CollegeAbschlußfeiern, die immer gleichen steifen Porträts von Großeltern, Onkeln, Cousins, ja sogar von Hunden – war ihm nach und nach auf die Nerven gegangen. Er kam nach Bloomington, um zu bleiben, und die Grundstimmung des Projekts veränderte sich, als er seinen Platz einnahm. Wir waren nicht mehr ein ernsthaft bemühtes, aber unterfinanziertes Forschungsteam aus Schreibtischhockern, die in einem düsteren Kaninchenstall im Institut für Biologie arbeiteten, sondern wir betrieben ein erfolgreiches, international anerkanntes Forschungsprojekt, die Einnahmen strömten herein, und wir hatten einen Vollzeit-Fotografen.
Aspinall verlor keine Zeit. Prok hatte etwa achttausend Dollar für die Anschaffung der modernsten Film-, Entwicklungs- und Schnittgeräte bewilligt, und Ted hatte den größten Teil davon innerhalb einer Woche ausgegeben. Prok war überaus beschäftigt, rasend beschäftigt: Er hielt Vorträge, zeichnete Geschichten auf, ließ sich fotografieren und interviewen, beaufsichtigte den Umzug und die Neuordnung der Bibliothek und zerbrach sich auch noch den Kopf über die Daten, aus denen schließlich das revolutionäre Buch über das sexuelle Verhalten der Frau werden sollte – und dennoch fand er Zeit, sich in der Dunkelkammer zu verkriechen und mit Aspinall jedes einzelne Teil der Filmausrüstung zu diskutieren. Film – das rasche, Bild für Bild erfolgende Festhalten und Aufdecken sexuellen Verhaltens, vom Stachelschwein über hormonberauschte Stiere bis hin zu dem ungehemmten jungen Paar im Apartment in Florida – war Proks neueste Obsession, und Aspinall war es, der ihm Zugang zu diesem Medium verschaffte.
Ja, ich bin mir durchaus bewußt, daß es hier eine evolutionäre Progression gibt. Ich bin mir bewußt, daß Tiere das eine sind, daß die Aufzeichnung ihrer Gewohnheiten unumstritten, lehrreich und sogar wünschenswert ist – aber das menschliche Säugetier ist doch etwas ganz anderes. Vielleicht sind wir zu weit gegangen. Vielleicht hatten einige der Kritiker dessen, was die Öffentlichkeit den Kinsey-Report nannte, in diesem Punkt recht, auch wenn es keiner von uns damals sah. Was hatte Margaret Mead über den Band über das sexuelle Verhalten des Mannes gesagt? Etwas in der Art, daß Prok ein Reduktionist sei, zu freudlos, zu wissenschaftlich – all diese Statistiken, und kein einziges Mal das Wort »Spaß«. Das war der Begriff, den sie gebrauchte: »Spaß«. Als könnte man Spaß messen und katalogisieren. Und dann Lionel Trilling, Lawrence Kubie und die anderen, die Prok – und damit uns, mir – vorwarfen, einem mechanistischen Bild vom Menschen den Vorzug zu geben vor einer emotionalen oder spirituellen Sichtweise. Ich verstehe inzwischen, wenn auch nur ansatzweise, worauf sie hinauswollten, aber ich stehe zu allem, was wir damals getan haben. Wenn wir nicht streng wissenschaftlich und durch und durch professionell vorgegangen wären, hätte man das Ganze als Klitterei abgetan. Jedenfalls war für mich damals alle negative Kritik lediglich ein Ansporn – sie war engstirnig, puritanisch, antiwissenschaftlich, und wenn wir eine Weiterentwicklung, einen Fortschritt wollten, mußten wir sie ignorieren. Und so war es nur logisch, daß wir begannen, das sexuelle Verhalten des Menschen auf Film festzuhalten.
Aber lassen Sie mich etwas weiter ausholen. Nicht nur die Ankunft von Aspinall und die Anschaffung all dieser Geräte, auch nicht die evolutionäre Progression des Projekts trieben uns dazu, lebensechte Szenen zu filmen – es spielte auch ein dritter Faktor hinein: die leichte
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