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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Schwiegermutter – die ist doch noch da, oder?«
Tausend Möglichkeiten wimmelten durch meinen Kopf. Meine Stimme war ein Krächzen. »Meine Mutter.«
Sie beugte sich herunter, um sich eine Zigarette anzuzünden, und ignorierte Proks ärgerlichen Blick – sie stand hier auf der Bühne und konnte tun und lassen, was sie wollte. Ich sah, wie sie den Kopf in den Nacken legte und den Rauch ausstieß. »Ach ja, deine Mutter.«
Ich glaube nicht, daß ich das, was an jenem Abend gefilmt wurde, in allen Einzelheiten wiedergeben muß, denn der Kitzel des Neuen läßt recht schnell nach, und das Filmen, das Beobachten und selbst die Teilnahme verlieren mit der Zeit und durch ständige Wiederholung deutlich an Reiz – ein Akt ist dem anderen sehr ähnlich, ganz gleich, ob man ihm in natura beiwohnt oder ihn auf Zelluloid gebannt sieht. Doch dieser Abend war anders, und darum erinnere ich mich auch heute noch daran, nach all den anderen Aktivitäten und Problemen, die darauf folgten, denn als nächstes sagte Vivian zu mir: »Soviel ich weiß, sind wir heute abend Partner, du und ich.«
Wahrscheinlich stotterte ich. Oder nein, natürlich stotterte ich. »Ich ... äh ... also, mir hat niemand ... Ich meine, Prok hat nichts ...«
Sie hatte sich auf der Armlehne des Sessels niedergelassen, so daß ihre Hüfte mich berührte, und beugte sich nun herunter, um mir in die Augen zu sehen. Ich roch sie, ihr Parfüm, ihre Seife, ja, aber auch noch etwas anderes, etwas Primitives, Ungezügeltes, das nicht nachgeahmt und auf Flaschen gezogen werden kann. »Was ist los?« fragte sie. »Magst du mich nicht?«
Falls Sie es nicht ohnehin schon geahnt haben: Ich war bereits einmal gefilmt worden, als einer der tausend Männer, die auf dem Laken in Aspinalls Studio masturbiert hatten, ebenso wie Corcoran und Rutledge. Prok hatte zwölf Dollar gespart, was konnte man dagegen einwenden? Anfangs war ich befangen gewesen, doch der Gedanke an die anderen 999 Männer hatte mich ermuntert und so stimuliert, daß ich hatte weitermachen können: Ich hatte getan, was ich tun sollte, mich abgewischt und wie alle anderen vor mir Platz gemacht für den nächsten.
Vivian Aubrey trug ihr Haar offen, und die Schwerkraft ließ es in einem dicken goldenen Vorhang über ihre Schultern fallen. Ich sah durch den Raum zu Betty: Sie beobachtete mich, und in ihrem Gesicht war etwas beinahe Spöttisches. Oder vielleicht war es ein Hunger, vielleicht war es das. Ich wandte mich wieder Vivian zu, dem Licht in ihren Augen, zu dem leuchtenden Farbfleck über der Kante ihres Schneidezahns, und sagte: »Doch. Ich mag dich sehr.«
Sie richtete sich auf und legte mir, um das Gleichgewicht zu bewahren, die Hand auf die Schulter. Noch ein Zug an der Zigarette. Ein kurzes, trällerndes Lachen. »Alles für die Wissenschaft, was?« sagte sie, und ich fragte mich, wo ich diesen Satz schon einmal gehört hatte.
    Ich weiß nicht, ob ich das Datum oder auch nur das Jahr richtig angebe (in den fünf Jahren zwischen 1948 und 1953, also zwischen dem Erscheinen von Das sexuelle Verhalten des Mannes und dem des Bandes über das sexuelle Verhalten der Frau, legte Prok mehr Kilometer zurück als jeder Staatsmann), aber soweit ich mich erinnere, stiegen Prok, Mac, Corcoran und ich Anfang des nächsten Jahres in den Zug, der uns zur Pazifikküste bringen sollte, das heißt nach San Quentin und Berkeley. Mac verbrachte unterwegs die meiste Zeit damit, zu stricken und aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft zu sehen, doch im Speisewagen, bei den Mahlzeiten und gelegentlichen spätabendlichen Pinokelspielen erwachte sie zum Leben, und es war sehr schön, daß sie dabei war, einfach als Gesellschaft, einfach so. Selbstverständlich ließ Prok Corcoran und mich arbeiten: Wir interviewten andere Reisende, übertrugen Daten und kamen täglich im Salonwagen zusammen, um unsere Strategie für die Interviews in San Quentin und das Buch über Sexualverbrecher zu erörtern, das Prok damals schon für die Zeit nach dem Erscheinen des Bandes über das sexuelle Verhalten der Frau plante. Es klang aufregend, doch wir waren alle etwas nervös wegen der Befragungen, die wir im Gefängnis durchführen würden. Dies war keine Gefängnisfarm, sondern eine Hochsicherheitsanlage, komplett mit Gaskammer und einem Todestrakt voll Nachschub, und der Gedanke daran, allein in einer Zelle mit einem Mörder oder Vergewaltiger zu sein, war gelinde gesagt erschreckend.
    Wir fuhren mit einem Wagen über die Golden

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