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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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deine Mutter? Geht’s ihr gut? Und Iris? Grüße sie von mir. Ich fände es schön, wenn sie am Wochenende vorbeikämen. Dann sind wir ganz unter uns, nur wir Frauen. Richtest du ihnen das aus ?«
Sie hielt meine Hand einen Augenblick zu lange, und ich spürte das Pulsieren all dessen, was zwischen uns gewesen war, den sanften, angenehmen Herzschlag der Vergangenheit, und dann führte sie mich ins Wohnzimmer.
Dort waren die anderen schon versammelt. Der flackernde Widerschein des Feuers verzerrte ihre Gesichter, so daß sie wie Fremde in einem überfüllten Wartesaal aussahen, bis ich näher kam und alles wieder war wie immer. Hallo, John. Setz dich. Kalt draußen? In einer Ecke brannte eine Lampe. Die Weihnachtsbeleuchtung war an einen Takter angeschlossen und blinkte rhythmisch. Es roch nach Holzrauch, nach dem Eichen- und Apfelbaumholz, das Prok bevorzugte, und nach den weißen Duftkerzen, die Mac auf den Kaminsims gestellt hatte. Alles war festlich und gemütlich. Ich begrüßte alle, doch als ich sah, daß Betty ebenfalls anwesend war – sie unterhielt sich angeregt mit Corcoran –, zuckte ich zusammen. Irgend etwas war im Busch, und natürlich war mein Interesse geweckt. Mit einem verwirrten halben Lächeln nickte ich ihr unbeholfen zu und setzte mich in den Sessel zwischen Prok und Rutledge. Betty erwiderte den Gruß mit einem Lächeln, das über ihre Lippen huschte und aus ihren Augen verschwand, bevor sie sich wieder Corcoran zuwandte. Ich fragte mich, was das zu bedeuten hatte. Empfand ich Eifersucht, so lächerlich das auch klingen mag? Was hatte sie an jenem Abend in der Kneipe gesagt? Purvis ist, wie du wahrscheinlich weißt, ein guter Freund von mir. Aber war ich denn nicht auch ein guter Freund?
»Ist da Alkohol drin?« fragte Aspinall. Er stand mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern vor der Punschschüssel, als fürchtete er, etwas zu zerbrechen. »Ted?« Mac war sogleich bei ihm. »Was kann ich dir anbieten? Und dir, John?« rief sie. »Punsch? Oder lieber etwas Leichteres – Limonade vielleicht?«
Und dann hielt ich einen dampfenden Becher weihnachtlichen Frohsinns in den Händen und drückte ihn an die Oberlippe, bis die alkoholischen Dämpfe die Nasenhöhle aufgetaut hatten und ich die verschiedenen Stimmen im Raum unterscheiden konnte. Prok sprach von San Quentin, dem Gefängnis in Kalifornien. Man hatte uns eingeladen, die Insassen zu interviewen, und es war ihm gelungen, auch ein paar Vorträge in Berkeley zu organisieren. Er bemühte sich, seine Stimme zu beherrschen, die die ganze Leiter der Gefühle hinauf- und hinunterkletterte. Offenbar fand er es aufregend, in ein Hochsicherheitsgefängnis zu gehen, um in die Sexgeschichten von einigen der gefährlichsten Männer einzutauchen, die unsere Gesellschaft aufzuweisen hatte, den Extremsten der Extremen – aber hätten wir nicht auch in Klöstern Befragungen durchführen sollen? Bei diesem Gedanken mußte ich grinsen. Prok in einem Kloster. Was für eine Vorstellung! Macs sanfte, melodische Stimme drang an mein Ohr – sie sprach über das Wetter –, umrahmt vom reibenden Klang von Aspinalls hoher, leicht heiserer Stimme. Ich konnte nicht hören, worüber Betty und Corcoran sprachen, wohl aber Bettys Lachen, das wie ein Pfeil in weitem Bogen durch den Raum flog und genau im Schwarzen der Zielscheibe auf meiner Stirn landete. Wir würden abermals Live-Sex zu sehen bekommen, und wir würden ihn filmen. Das war der Zweck dieser Zusammenkunft. Corcoran und Betty. Und warum er? Warum nicht ich? War mit mir etwas nicht in Ordnung?
In diesem Augenblick schwang die Tür zur Toilette auf, Vivian Aubrey trat heraus und kam über den Flur ins Wohnzimmer. Ihr Haar – blond, mit Naturwelle – war frisch gebürstet, und sie hatte neuen Lippenstift aufgelegt, wie ein blutroter Fleck auf einem ihrer Schneidezähne bewies, als sie sich lächelnd zu uns gesellte. Sie war so elegant wie die erste Frau, die ich interviewt hatte – die soignierte Professorengattin, die in Indiana so deplaziert gewirkt hatte wie ein tropischer Vogel und die mich hatte erröten lassen –, und geradewegs aus der verfeinerten Welt der Ostküste zu uns gekommen. Sie war selbstsicher. Sie strahlte. Sie war uns im Hinblick auf Raffinesse und Lebensart um Lichtjahre voraus. »Oh, hallo, John«, sagte sie, schlenderte zu mir und schüttelte mir mit aufrichtigem, kräftigem Druck die Hand. »Ich wußte nicht, ob du es schaffen würdest, wegen des Babys und deiner

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