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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Neger mit der Klinge aus Stahl und dem Auge, das nicht stillstehen wollte – ich denke auch jetzt an ihn –, und frage mich, ob Prok nicht recht hatte. Es war ein Test. Sonst nichts. Ein Test.
    Doch dann fuhren wir weiter nach Berkeley und dem Augenblick entgegen, der in all den Jahren mit Prok wohl der Höhepunkt war: dem großen Vortrag in der Sporthalle, zu dem nicht weniger als neuntausend Zuhörer erschienen. Wir kamen geradenwegs aus dem Gefängnis, wo wir in totenstillen, schwitzenden Zellen tief unter der Erde, weit entfernt von allem, was das Leben zu bieten hatte, Gespräche unter vier Augen geführt hatten, in die vertraute Umgebung eines Campus, wo uns jeder sehen konnte und neuntausend nicht eingesperrte, frei atmende Menschen – Studenten und Dozenten gleichermaßen – die Koryphäe auf diesem Gebiet über das eine Thema sprechen hören wollten, das sie mehr faszinierte als alles, was ihre Bücher und Philosophen ihnen bieten konnten.
    Ich erinnere mich nicht daran, wie das Wetter war. Kann sein, daß es regnete, daß jener stete Regen fiel, der für die feuchte Jahreszeit in Kalifornien typisch ist, aber das verwechsle ich vielleicht mit einer anderen Zeit und einem anderen Ort. An den Saal aber kann ich mich erinnern. Oder vielmehr an die Sporthalle. Hier fanden gewöhnlich die Basketballspiele der Universitätsmannschaft statt, doch wegen der ungeheuren Begeisterung für Prok, den Autor, die Berühmtheit, den Überwinder sexueller Tabus, hatte man sie uns für einen Nachmittag überlassen. Zwei Stunden vor Beginn des Vortrags waren alle siebentausend Plätze besetzt, und als wir eintrafen, war man dabei, in den Gängen und auf dem Spielfeld zweitausend zusätzliche Klappstühle aufzustellen. Reicht es, wenn ich sage, daß die Erwartungen hochgespannt waren?
    Wir wurden durch einen Seiteneingang und einen abgesperrten Korridor zu einem Trainerzimmer geführt, wo uns der Mann, der Prok vorstellen würde – kein anderer als der Vizepräsident der Universität –, bat, es uns bequem zu machen, während er sich um die letzten Einzelheiten kümmerte. »Wir brauchen noch zehn Minuten«, sagte er, und da ich vollkommen vergessen habe, wie er aussah, verleihe ich ihm einfach das schmale, berechnende Gesicht und den unsteten Blick des geborenen Bürokraten. »Und wenn Sie irgendwas brauchen, rufen Sie einfach.« Damit schloß er die Tür und ließ uns allein.
    »Elegante Garderobe, was?« sagte Prok und wandte sich zu uns, zu Corcoran, Mac und mir. Wir sahen uns um. Der Raum war eng, die Regale waren vollgestopft mit Sportzeug aller Art, mit vereinsamten Schuhen, vergilbten Volleybällen, Baseballschlägern, mit Spikes, Handschuhen, Tennisschlägern, Helmen und dergleichen, die Bretter zweier hoher Regale bogen sich unter der Last der Trophäen, und der Rest der Wände war mit Mannschaftsfotos gespickt. Der Geruch aus dem angrenzenden Umkleideraum, der verdichtete, ranzige Geruch nach dem Schweiß von Generationen, versetzte mich zurück in die Highschool, in den Tagtraum, den ich nach der Sache mit der Gehirnerschütterung hatte. Ich wurde auf einer Trage in den Umkleideraum gebracht, vor der Tür flatterte die Stimme meiner Mutter wie ein Vogel, der immer wieder gegen die Fensterscheibe fliegt, mir schwand das Bewußtsein, und dann krümmte es sich auf sich selbst zurück, bis sich die Welt mir darbot wie das Lächeln einer Frau, nur daß da gar keine Frau war, sondern nur der glatzköpfige Mannschaftsarzt, der mir Riechsalz unter die Nase hielt.
    »Ja«, sagte Mac. »Da siehst du, was deine Berühmtheit dir ein- bringt. Das nächste Mal werden sie uns im Ritz unterbringen, du wirst schon sehen.«
    Wir alle lachten. Proks Lachen klang allerdings eher wie ein Wiehern, und sein Blick sprang vom einen zum anderen, als hätten wir im Chor gesprochen. War er nervös? War es das?
    Wie als Antwort auf meine Frage schien in diesem Augenblick das ganze Gebäude von der gewaltigen Bewegung der Menge jenseits der Tür und des Korridors zu erbeben. Tausende Studenten hatten ein Gähnen unterdrückt, waren auf ihren Sitzen hin und her gerutscht und hatten die Stimmen erhoben, um das anschwellende, erwartungsvolle Summen des Auditoriums zu übertönen.
    Mac stellte sich neben Prok. Die beiden standen ganz still in der Mitte des Raums, als lauschten sie fernem Donnergrollen. »Kann ich dir etwas holen?« fragte sie. »Kaffee? Ein Glas Wasser? Cola?«
    Er schien zu zögern – Prok, der nie zögerte, der mit Worten

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