Dr. Sex
und Gesten so ökonomisch umging –, und dann sagte er, so leise, daß ich es kaum hören konnte: »Wasser.«
»Gut«, murmelte Mac. »Das dachte ich mir, daß du ganz ausgetrocknet bist. Du mußt deine Kehle anfeuchten. Ich sag’s nicht gern, aber du bist beinahe wie ein Startenor von der Metropolitan Opera. Oder wie ein Radiomoderator.« Sie drehte sich um und warf Corcoran und mir einen Blick zu.
»Ich gehe schon«, sagte Corcoran. »Wasser, ja? Einfach nur Wasser?«
Wieder regte sich die Menge: ein gigantisches, gewaltiges Seufzen von Bänken, Stühlen, Muskeln, Sehnen. Es war, als wäre alle Luft aus der Halle, dem Korridor und dem Trainerzimmer gepreßt und auf einer Woge wieder eingesaugt worden. Mein Herz klopfte, als wäre ich derjenige, der gleich auf das Podium treten mußte, und ich versuchte, meine Aufregung mit einer flapsigen Bemerkung zu überspielen: »Das klingt, als wären die Eingeborenen unruhig.«
Prok stand steif da, die Hand, mit der er sich über das Haar gestrichen hatte, verharrte mitten in der Bewegung. Er starrte mich scharf an, sein Blick nagelte mich fest, als wäre ich eine verirrte Gallwespe. »Sei nicht kindisch«, sagte er. »Das ist weder die Zeit noch der Ort für Geschwätz.«
Mac legte die Hand auf seinen Arm, knapp über dem Ellbogen. »Prok«, sagte sie leise, »beruhige dich«, doch er schüttelte sie ab.
Er starrte mich noch immer an, mit wütend zusammengebissenen Zähnen und einem kleinen Zucken um den Mund, als hätte er etwas Bitteres geschmeckt. »Das ist genau die Art von gedankenloser Bemerkung, die das gesamte Projekt untergräbt – und zwar schon solange ich dich kenne, Milk. Deine Arbeitsleistung ist unterdurchschnittlich – das ist sie, das war sie, und das wird sie immer sein. Hast du gehört?«
Die Menge atmete wie ein einziges Wesen. Das Gebäude bebte. Ich senkte den Kopf. »Ich wollte ... Das heißt... Das war doch nur ein Witz.«
»Und hör auf zu stottern, Herrgott noch mal. Sprich wie ein erwachsener Mann!«
»Prok, bitte«, nahm Mac mich in Schutz. »Er wollte doch nur –«
»Mir ist vollkommen gleichgültig, was er wollte! Er sollte besser als jeder andere wissen, daß ich weder ihn noch« – und hier sah er Mac an – »irgend jemand sonst brauche, wenn ich mich auf einen Vortrag vorbereite.«
Mac sprach sehr leise. »Vielleicht möchtest du dann, daß wir gehen?«
In diesem Augenblick erschien Corcoran, der blonde Jüngling, mit einem Glas Wasser in der Tür, und die konzentrierte Intensität der Atmosphäre in der Halle rollte wie eine Welle durch den Raum und brach sich an den trophäenbeladenen Regalen. »Ja«, sagte Prok barsch, trat einen Schritt vor und nahm Corcoran das Glas aus der Hand, »ja, das wäre mir recht. Sehr recht. Und ihn« – sein anklagender Finger zeigte auf Corcoran – »könnt ihr gleich mitnehmen.«
Als wir uns auf die reservierten Plätze in der ersten Reihe setzten, hatte ich den Vorfall bereits vergeben und vergessen. Es war das Lampenfieber, sonst nichts. Prok stand unter enormem Druck, und obgleich ich ihn bei Hunderten von Vorträgen niemals nervös erlebt hatte, war das hier doch etwas Besonderes. Ein so großes Publikum hatte es noch nie gegeben, und jeder normale Mensch hätte Lampenfieber gehabt. Der Vizepräsident – diese idealtypische Gestalt, dieses Gesicht, dieser Akademiker und Bürokrat – brachte in seinen einführenden Worten eine launige Bemerkung unter, die von den Studenten mit Kichern belohnt wurde. Er blätterte in seinen Notizen, blinzelte kurzsichtig in die Menge, räusperte sich und sagte: »Es freut mich, daß so viele Dozenten mit ihren Frauen erschienen sind. Die meisten von uns werden die Dinge, von denen hier die Rede sein wird, allerdings nur aus der Retrospektive kennen.« Ein kurzes Zögern, als hätte das Auditorium ihn nicht recht verstanden, und dann lief das Kichern durch die Reihen wie ein Motiv aus Wagners Walküre.
Und dann kam Prok. Er trat mit herausgestreckter Brust und blitzenden Brillengläsern von der Seite auf die Bühne und ging zum Pult, umtost von Beifall, der erstarb, als er die Hand hob, um das Mikrofon einzustellen. Wie immer sprach er frei, ohne Notizen oder sonstige Hilfsmittel, mit leiser, unmodulierter Stimme und in dem nüchternen Ton, der ihm in all den Jahren so gute Dienste geleistet hatte. Er begann mit der Variationsbreite von Verhaltensweisen, einem vertrauten Thema, und führte aus, daß die Extreme an beiden Enden der Skala die Norm definieren. Er
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