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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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dahinten an der Wand, aber du brauchst ja die Indizes, und die sind ... Ach was, ich hole sie dir schnell.«
Sie lächelte mich an, als hätte ich bereits passende Zitate gefunden, sie aufgeschrieben und die Arbeit abgegeben, und ihr Blick huschte auf eine Weise über mein Gesicht, die wir später als eines der unterschwelligen Signale der Bereitschaft identifizierten (das heißt der Bereitschaft zu sexuellen Aktivitäten, zu Küssen, Petting, genitaler Manipulation und Koitus), doch damals dachte ich nur, ich hätte einen Speiserest zwischen den Zähnen oder meine Haare brauchten noch eine Portion Öl. »Hast du von deiner Mutter gehört?« fragte sie und wechselte abrupt das Thema.
»Ja«, sagte ich. »Oder vielmehr nein. Ich meine, warum fragst du? Ist irgendwas –«
»Oh, nein, nein«, sagte sie, »nein. Ich wollte nur wissen, wie es ihr geht. Ich hab mich nie für den schönen Nachmittag und ihre Gastfreundschaft bedankt. Und für deine. Das war wirklich ein toller Nachmittag für Tommy und mich.«
»Die Pfeffernüsse waren lecker«, sagte ich wie ein Idiot. »Ein Rezept meiner Großmutter. Familientradition.«
Für einen Augenblick dachte ich, sie würde nichts darauf antworten. Ich stand verlegen am Tisch und suchte in Gedanken nach dem Schlüssel zur nächsten Gesprächsebene – ihre Mutter, sollte ich sie nicht nach ihrer Mutter fragen, auch wenn ich sie kaum kannte? –, doch dann sagte sie etwas, allerdings so leise, daß ich sie nicht verstand.
»Was?«
»Ich sagte: Ja, das waren sie.« Ich muß verwirrt ausgesehen haben, denn sie fügte hinzu: »Die Pfeffernüsse. Ich hab dir zugestimmt.«
Das brachte mich wieder ins Stolpern – wie gesagt, lockeres Plaudern war nicht meine Stärke, es sei denn, ich hatte ein paar Drinks intus –, und dann kicherte sie, und ich kicherte mit und sah von ihr zu Elsters Tisch und wieder zurück. »Tja«, sagte ich, »setz dich doch einfach, und ich, also ... die Indizes ...«
Sie setzte sich an einen der großen gelben Eichentische und legte Handtasche, Büchertasche, Handschuhe, Mantel und Hut darauf ab, als wäre die Bibliothek ein Flohmarkt, und ich brachte ihr die vielversprechendsten Indizes und kehrte zu meinen Katalogkarten zurück. Es war warm in der Bibliothek – eigentlich war sie überheizt –, und wie in den meisten Bibliotheken roch es nach Staub, Bohnerwachs und den verstohlenen Ausdünstungen der Benutzer. Ein Strahl der Wintersonne färbte die "Wand hinter Iris gelb. Es war sehr still. Ich versuchte, mich auf das, was ich tat, zu konzentrieren und die Einträge in meiner saubersten Blockschrift zu schreiben, doch ich blickte immer wieder zu ihr und war verwundert über die Vitalität, die sie in diese sterile Atmosphäre brachte. Sie trug einen langen Rock, dunkle Strümpfe, einen engen Pullover, der ihre Formen zur Geltung brachte und zu ihren Augen paßte, und während sie den Kopf hob und senkte – erst über die Zeitschrift, dann über ihren Block, dann wieder über die Zeitschrift –, sah ich ihr zu, als wäre sie ein exotisches, wildes Wesen in einem ländlichen Idyll, das seinen Durst an einem Strom stillt.
Dabei war sie nicht wild, ganz und gar nicht. Sie war so zahm, wie es zahmer kaum geht. Und sie war, wie sie mir später gestand, an jenem Tag nur in die Bibliothek gekommen, um mich daran zu erinnern, daß sie noch lebte und im geschlechtsreifen Alter war, daß sie Lippen hatte, die man küssen konnte, und Hände, die gehalten werden wollten. In Wirklichkeit hatte sie die Hausarbeit über die widerwärtigen, Malaria übertragenden kleinen Parasiten bereits geschrieben, sie hatte alles, was sie brauchte, und daß sie hier am Tisch saß und den Kopf mit dem schimmernden Haar hob und senkte, geschah einzig und allein, damit ich etwas zu sehen bekam. Sie hatte, wie meine Mutter lange vor mir gemerkt hatte, ein Auge auf mich geworfen und war entschlossen, mich diese Tatsache auf meine unbeholfene Art entdecken zu lassen. Bevor sie heimging, unterhielten wir uns noch ein bißchen, und irgendwie gelang es mir, sie für Samstag abend zu einer Studentenproduktion eines beliebten Broadway-Stücks einzuladen.
Bei der anderen Sache, die passierte, ging es um Prok, und sie war wohl symbolisch für das, was sich später zwischen uns entwickelte, zwischen Prok und mir einerseits und Iris und mir andererseits. Es geschah in derselben Woche, in der Iris in die Bibliothek gekommen war, vielleicht sogar am selben Tag, ich weiß es wirklich nicht mehr. Ich

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