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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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wollte gerade nach Hause gehen, als jemand meinen Namen rief, und als ich mich umdrehte, kam Prok die Eingangstreppe herunter auf mich zu. »Milk, warten Sie einen Augenblick«, rief er, und dann stand er vor mir und zog sich einen Handschuh aus, um mir die Hand zu schütteln. »Wie geht’s? Gefällt Ihnen Ihr neuer Job?«
»Ja«, sagte ich. »Ich bin sehr ... Es ist interessant.« Meine Worte hingen in der Luft, als hätte niemand sie je ausgesprochen. Ich tastete in meiner Jackentasche nach den Zigaretten und merkte, daß ich sie offenbar auf meinem Tisch in der Bibliothek hatte liegenlassen.
»Gehen wir ein paar Schritte«, sagte er. »Müssen Sie in meine Richtung?«
»Ich wohne drüben in Kirkwood.«
»Aha. Gut. Die falsche Richtung also. Aber tun Sie mir den Gefallen – einem jungen Burschen wie Ihnen macht ein Umweg von zwei Blocks doch wohl nichts aus, oder?«
Also gingen wir in Richtung seines Hauses in der First Street. Die Bäume auf dem Campus standen da wie Statuen, unter dem sich verdunkelnden Himmel leuchtete das Licht in den Fenstern der hohen bleichen Universitätsgebäude. Die Luft war hart vor Kälte und straff über den Abend gespannt, doch nach der Beengtheit der Bibliothek war es ein gutes Gefühl, draußen zu sein. Auf der Straße gab es vereiste Stellen. Am Bordstein standen Mülleimer. Prok war mir einen halben Schritt voraus, marschierte wie immer mit riesigen Schritten dahin (bei Prok war alles ein Wettkampf, selbst das Gehen) und sprach über die Schulter zu mir, so daß mich seine Worte in einer Hülle aus gefrorenem Kohlendioxyd erreichten.
»Ich habe zu Clara gesagt, was für ein interessanter Mensch Sie sind und wie sehr Sie mich beeindrucken, und sie sagte: ›Warum lädst du ihn dann nicht mal zum Abendessen ein?‹ Ich fand das eine gute Idee, denn sehr oft kommen Sie wohl nicht in den Genuß guter Küche, oder? Sie wissen schon – worüber wir neulich gesprochen haben: das gewisse mütterliche Etwas.«
»Nein«, sagte ich, »da haben Sie recht. Entweder Mensa oder Schnellimbiß.« Das Kompliment ließ mich innerlich erglühen – ich hatte ihn beeindruckt – , und die Worte kamen wie von selbst.
»Jede Menge Fett und Knorpel als Futter für die sich vermehrenden Gehirnzellen, hm?« Er wandte seinen großen Kopf und lächelte mir zu.
»Und natürlich dürfen wir nicht selbst kochen ...«
»Studentenpension?«
Ich nickte. Wir waren jetzt in einer Seitenstraße und ließen die Universität hinter uns. Es waren nur sehr wenige Autos unterwegs.
»Tja«, sagte er, blieb stehen und drehte sich zu mir um, »also, wie wär’s? Am Samstag um sechs?«
Ich muß gezögert haben, denn in einem ganz anderen Ton, beinahe als machte er sich bereit, Gegenargumente vorzutragen, fügte er hinzu: »Wenn Sie nichts anderes vorhaben, natürlich. Haben Sie irgendwelche Pläne? Für Samstag?«
Ich blickte die ausgestorbene Straße entlang und sah dann ihn an. »Nein«, sagte ich. »Eigentlich nicht.«
    Proks Haus war nicht weit vom Campus entfernt, und doch galt die Gegend damals als irgendwie abgelegen, denn das Viertel rings um die First Street war noch nicht so entwickelt wie heute. Nach meiner Erinnerung gab es nur wenige große Häuser, eingerahmt von hohem, schwarz gezacktem Wald, und irgendwo in der Nähe murmelte ein Bach. Hier draußen waren die Straßen nicht beleuchtet, doch die Sterne und ein dreiviertel voller Mond ließen die Umrisse der hier und dort am Bordstein geparkten Automobile erkennen, und in jedem Haus, an dem ich vorbeikam, brannte Licht. Ich war ein bißchen spät dran, denn ich hatte beinahe eine Stunde lang darüber nachgedacht, was ich der Dame des Hauses mitbringen könnte: ein Gesteck aus Trockenblumen und Kiefernzapfen, das aussah, als wäre es mit weißem Zement besprüht, in den ein paar bunte Federn gesteckt waren, eine Flasche Kentucky Bourbon oder einen Käse, der im Schaufenster eines Lebensmittelgeschäfts meinen Blick auf sich gezogen hatte. Schließlich entschied ich mich für den Käse. Die Trockenblumen erschienen mir zu riskant – ich hatte keine Ahnung von Botanik und würde heute abend unter Experten sein –, und den Whiskey ließ ich stehen, denn ich wußte nicht, welche Haltung Prok gegenüber alkoholischen Getränken einnahm, vermutete aber, daß er sie ablehnte, weil sie gesundheitsschädlich waren und er das Trinken für eine Zeitverschwendung hielt.
    Als ich um Viertel nach sechs außer Atem vor dem Haus stand, mußte ich mich vergewissern, daß

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