Dr. Sex
sondern auch als Erforscher menschlicher Sexualpraktiken.
Jedenfalls war der Job für mich ein Segen, und in den ersten ein, zwei Wochen tauchte ich aus dem Tief auf, in dem ich versackt war. Die freien Abende und das zusätzliche Geld bauten mich auf. Ich ging mit Paul und seiner Freundin Betsy zum Bowling und bestand darauf, sie zu Cheeseburgern und ich weiß nicht wie vielen Krügen Bier einzuladen, nachdem Paul mich beiseite genommen und mir gesagt hatte, er und Betsy seien übereingekommen, ich solle als erster erfahren, daß sie verlobt seien. Die Jukebox spielte immer wieder »Oh, Johnny«, und Betsy sagte immer wieder: »Du bist der nächste, John-Johnny-John, du bist der nächste.« Ich zuckte nicht mal, als Laura Feeney und Jim Willard hereinkamen und sich in eine Nische weiter hinten setzten. An diesem Abend blieben Paul und ich lange auf und tranken den Bourbon, den Paul an der wachsamen Mrs. Lorber vorbeigeschmuggelt hatte, aus Wassergläsern, und obwohl ich am nächsten Morgen verschlief, freute ich mich für Paul und schöpfte neue Hoffnung für mich selbst.
Leider hielt diese Stimmung nicht lange an. Mein Zimmergenosse, ein Mann, mit dem ich Alter und Interessen teilte, würde demnächst heiraten, und auf ihn wartete bereits eine Stelle in der Futtermittelfirma seines Vaters, während ich mir jeden Morgen vor dem Spiegel eingestehen mußte, daß ich keine Ahnung hatte, was aus mir werden sollte. Wie wohl die meisten höheren Semester war ich orientierungslos, ich sorgte mich um meine Noten und steuerte auf die Abschlußprüfung im Juni zu, ohne die leiseste Ahnung zu haben, was ich mit meinem Leben anfangen, geschweige denn, wie ich meinen Lebensunterhalt verdienen sollte. Ich wußte nur, daß ich lieber als Handlanger des Küchenhelfers in der Suppenküche auf der Teufels- insel arbeiten wollte, als noch einen Sommer bei meiner Mutter in Michigan City zu verbringen. Und als wäre das noch nicht belastend genug, drohte ein Krieg in Europa, und es gab Gerüchte über die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht.
Ich war also niedergeschlagen, das Wetter wurde schlechter und schlechter, Paul war so oft mit Betsy unterwegs, daß ich schließlich kaum noch wußte, wie er aussah, und die Bücher auf dem Bibliothekswagen wurden immer schwerer. (Ich kam mir vor wie ein bibliothekarischer Sisyphos: Die Arbeit nahm kein Ende, und die einzuordnenden Bücher wurden und wurden nicht weniger.) Und dann ereigneten sich zwei Dinge. Das erste hatte, wie Sie vielleicht schon erraten haben, mit Iris zu tun. Obgleich sie, wie ich, Englisch als Hauptfach hatte, tauchte sie eines Nachmittags in der Institutsbibliothek auf und suchte verzweifelt Informationen über den Lebenszyklus des Plasmodium Parasiten, denn sie hatte einen von Dr. Kinsey persönlich veranstalteten Einführungskurs in die Biologie belegt. »Wir müssen aus mindestens drei wissenschaftlichen Zeitschriften zitieren«, sagte sie, noch immer außer Atem, denn sie war bei starkem Gegenwind quer über den Campus gelaufen, »und morgen soll ich die Arbeit abgeben.«
Ich war dabei, Katalogkarten für die Neuerwerbungen auszufül- len, als sie an den Tisch trat und mich überraschte. Bevor ich auch nur daran denken konnte zu lächeln, fuhr ich mir mit der Hand durch die Haare und schob die widerspenstige Locke zurück, die mir wie immer in die Stirn fiel. »Ich würde ... Klar«, sagte ich. »Aber da bin ich ... Eigentlich ist für so was Mr. Elster zuständig, der Bibliothekar, aber ich könnte ... Ich werde mein Bestes tun.« Endlich fand ich mein Lächeln. »Für dich mache ich das.«
Sie senkte die Stimme. »Ich will keine Umstände machen – du hast bestimmt Wichtigeres zu tun. Aber wenn du mir sagen könntest, wo ich ...«
Ich stand auf und spähte durch den Saal zu dem Tisch, an dem, teils hinter einer lackierten Trennwand verborgen, Elster saß. Er war ein kleiner, dünner, verbitterter Mann von Ende Zwanzig und hatte mich mehrfach darauf hingewiesen, daß es nicht zu meinen Pflichten gehörte, den Benutzern behilflich zu sein – das war seine Aufgabe, und er wachte eifersüchtig darüber. Im Augenblick jedoch war er ganz von irgendwelchem Papierkram in Anspruch genommen, vielleicht auch von einem der Kreuzworträtsel, die er sich ständig vornahm. Auch ich sprach jetzt leiser: Immerhin war dies ja eine Bibliothek, und es war besser, keine Aufmerksamkeit zu erregen. »Die aktuellen Ausgaben der Zeitschriften stehen in alphabetischer Reihenfolge
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