Dr. Sex
zu arbeiten. Nicht, wenn du nicht willst.«
Auch hier will ich offen sein. Wenn Prok mich irgend etwas gelehrt hat, dann das. Euphemismen sind die Zuflucht der Unechten, der Zaghaften und Verklemmten. Ich verwende keine Euphemismen und glaube, daß klare Worte die besten Worte sind. Oder deutliche Worte. Schlicht gesagt: Ich war von Mac berauscht. Sie würde die erste sein, die Frau, die mich aus meiner Jungfernschaft erlöste, oder, um es auf die gröbste Weise zu sagen, nur damit es endlich gesagt ist, um es mit den Worten auszudrücken, die die aus der Unterschicht stammenden Befragten in zahllosen Interviews gebraucht haben, in der Umgangssprache also, die die Dinge oft genauer auf den Punkt bringt als die erhabenste Umschreibung: Sie würde mein erster Fick sein. So, jetzt ist es heraus. Und wenn sich alles wieder etwas beruhigt hat und Iris das hier hört oder es für das Buch niederschreibt – und ein Buch soll es ja werden –, so habe ich nichts zu verbergen. Sie kennt meine Geschichte. Sie kennt sie von Anfang an, so wie ich ihre kenne.
Doch an jenem Junitag im Garten – die Blumen ein Aufruhr von Farben, die Luft so sanft und wohltuend wie ein Duftbad, hinter uns das Lebkuchenhaus, wir selbst durch die betäubende Stille des Morgens abgeschirmt von der Welt – streckte Mac die Hand nach mir aus, und ich ergriff sie. Sie sagte kein Wort. Sie zog mich ein wenig, um mir zu zeigen, was sie wollte, und ich stieg aus der Grube und ließ mich von ihr zu einer Stelle weiter hinten im Garten führen, wo wir durch Bäume vor Blicken geschützt waren. Eine Decke war auf dem Gras ausgebreitet, und dieser Anblick ließ mich innerlich jubeln. Sie hatte alles geplant, sie dachte an mich, sie begehrte mich, und hier war der Beweis.
»Da«, sagte sie, »setz dich.« Ich gehorchte, und mein Atem ging schnell und flach, als sie vor mir stand, ihre Bluse aufknöpfte, die Shorts abstreifte und mit einer langsamen, eleganten Bewegung neben mir niederkniete und ihre Hände über meine Brust und meinen Bauch flattern ließ, wobei sie mit leichtem, beruhigendem Druck über meine angespannten Schultern und Oberarme strich, bis ich mich erst auf die Ellbogen stützte und schließlich auf dem Rücken lag und spürte, daß sie sich an der Schnur des Lendenschurzes zu schaffen machte. Der Augenblick schien kein Ende zu nehmen, und dann fiel das Tuch, und sie packte mich an dem einzigen Teil meines Körpers, der von Bedeutung war. Ich wußte, was ich tat. Ich hatte die Dias gesehen, die Geschichten transkribiert. Und ich hatte an Professor Keatings Seminar über klassische Literatur teilgenommen und König
Ödipus und Ödipus auf Kolonos gelesen und wußte, daß Prok der alte König war und ich der Sohn und Mac die Mutter. Ich tat es offenen Auges. Ich war kein Opfer. Und das hier war Sex – nicht Liebe, sondern Sex –, und es fiel mir so leicht, als hätte ich mein Leben lang nichts anderes getan.
5
Am folgenden Samstag war die Abschlußfeier.
Meine Mutter – später mehr von ihr – machte sich mit Tommy McAuliffe und meiner Tante Marjorie in Tommys Dodge auf den weiten Weg von Michigan City. (Wir hatten nie einen Wagen besessen, denn das war laut meiner Mutter ein Luxus, den wir uns nicht leisten konnten, und daher lernte ich erst fahren, als Prok es mir später in jenem Sommer beibrachte.) Das war im Juni 1940, und die Ereignisse in Europa – die Evakuierung bei Dünkirchen, die bevorstehende Kapitulation Frankreichs – überschatteten eine Abschlußfeier, die bestimmt die trübseligste in der Geschichte der Universität von Indiana war. Alle waren beunruhigt, nicht nur die Absolventen, die nun hinaus in die Welt gingen. Es war so gut wie sicher, daß die allgemeine Wehrpflicht eingeführt werden würde, und davon wären alle Studenten im Grundstudium betroffen.
Aber ich hatte meinen Abschluß gemacht, immerhin magna cum laude, und meine Mutter war – Hitler hin oder her – entschlossen, es würdig zu feiern. Um den anderen vielleicht nicht so schlauen oder weitblickenden Eltern zuvorzukommen, hatte sie ein ganzes Jahr im voraus zwei Zimmer für sich und meine Tante reserviert. Tommy würde auf einem Feldbett in dem Zimmer schlafen, das ich mir mit Paul Sehorn teilte. Das alles war bis in die Einzelheiten mit Mrs. Lorber besprochen. Nun zu meiner Mutter. Ich habe das Gefühl, daß ich hier auf sie eingehen muß, auch wenn man sagen könnte, daß sie wohl kaum eine zentrale Rolle in Proks Geschichte spielt, und dennoch
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