Dr. Sex
aufs Bett und machten eine Art Rolle rückwärts, wie Akrobaten im Zirkus. Aber wir hielten mitten in der Bewegung an, und weil wir so gelenkig waren, na ja, konnten wir uns selbst lecken.«
Das Wort, das mir durch den Kopf schoß, lautete »Autocunnilingus«. Dafür gab es noch kein Kästchen, keinen Code, also machte ich eine handschriftliche Notiz. Wahrscheinlich war ich errötet. Auf jeden Fall hatte ich eine Erektion.
Wir machten weiter.
War es ihre erste Ehe? Ja. Hatte sie vor der Ehe Erfahrungen mit Zungenküssen gemacht? Ja. Mit Petting? Ja. Hatte sie männliche Genitalien berührt, einen Penis mit dem Mund berührt, Geschlechtsverkehr gehabt? Ja, ja und ja. Wie viele Partner hatte sie gehabt, abgesehen von ihrem Mann? Ungefähr zwanzig, schätzte sie. »Zwanzig?« wiederholte ich und versuchte, meiner Stimme einen neutralen Klang zu geben. Sie wußte es wirklich nicht, vielleicht waren es ein paar we- niger gewesen, vielleicht aber auch fünfundzwanzig, und während sie zurückdachte, bekam ihr Blick etwas Verträumtes. Und nun zum Orgasmus: Wann hatte sie ihren ersten bewußten Orgasmus ? Konnte sie sich durch Masturbation, Petting oder Geschlechtsverkehr zum Orgasmus bringen? Wann hatte sie zuletzt einen Orgasmus erlebt?
Und hier verlor ich wieder den Boden unter den Füßen, denn ich stellte dieser im landläufigen Sinne hübschen und höchstwahrscheinlich verwöhnten Professorengattin, diesem eleganten blonden Juwel von einer Frau, geschmackvoll und makellos gekleidet, die nächste Frage dieser Sequenz, und die lautete: »Wie viele Orgasmen haben Sie im Durchschnitt?«
Sie war bei der fünften Zigarette, und wenn sie anfangs entspannt gewesen war, so war sie jetzt so aufgeschlossen und enthusiastisch wie irgendeiner der Studenten, die ich bisher befragt hatte. Sie sah mich an. Lächelte ein bißchen. Meine – unprofessionelle – Erektion dauerte nun schon seit Stunden an. »Ich würde sagen, so ungefähr zehn bis zwölf.«
Bestimmt war mir meine Überraschung anzusehen: Selbst unter den Interviewten mit der höchsten Orgasmusfrequenz gab es nur wenige, die an diese Zahl heranreichten. »Pro Woche?« fragte ich. Und dann, idiotischerweise: »Oder ist das eine auf den Monat bezo- gene Schätzung?«
Jetzt war sie es, die errötete – nur eine ganz zarte Verfärbung unter den Wangenknochen und entlang der Nasenflügel. »Nein«, sagte sie, »nein, ich meinte täglich.«
Wenn Iris verstimmt war, weil ich nicht gekommen war, um sie und Tommy zu begrüßen und ihren Überseekoffer in die dritte Etage des Wohnheims zu wuchten, dann ließ sie es sich nicht anmerken. Am frühen Morgen des vierten Tages kehrten Prok und ich wie geplant nach Bloomington zurück – er mußte damals ja auch noch seinen Stundenplan berücksichtigen –, und ich machte mich sogleich daran, die chiffrierten Protokolle zu transkribieren und nach und nach unseren rasch wachsenden Daten über das sexuelle Verhalten des Menschen hinzuzufügen, und ich sollte erwähnen, daß das immer erregend war: Ich fühlte mich dabei etwa so, wie sich ein Jäger fühlen muß, der von einem erfolgreichen Jagdausflug eine ganze Tasche voller Vögel mitgebracht hat, die meisten davon einheimisch, aber hier und da ist vielleicht mal ein Exot dabei. (Noch etwas zu dem eben erwähnten Interview: Glauben Sie bloß nicht, daß alle weiblichen Befragten ein so reiches, extensives Sexualleben hatten wie diese junge Professorengattin. Typischer waren Berichte von sexueller Unterdrückung, Schuldgefühlen und großer Beschränktheit im Hinblick auf die Zahl der Partner und die angewandten Praktiken. Und um die Anekdote zu Ende zu erzählen, sollte ich noch erwähnen, daß ich gar nicht anders konnte, als mich, kaum daß die Tür sich hinter ihr – Mrs. Foshay – geschlossen hatte, von dem Druck in meinen Lenden zu erlösen. Hätte Prok davon erfahren, dann hätte er mich bei lebendigem Leib gehäutet. Professionalität. Professionalität, das war das Zauberwort. Jedenfalls an der Oberfläche. Jedenfalls zu Anfang. In der verbrauchten Luft des Zimmers waren noch der Duft ihres Parfüms und ein Hauch ihrer Wärme zu spüren, und ich kam in Rekordzeit zum Orgasmus. Mir blieb gerade genug Zeit, um mich abzuwischen und alles zu verstauen, bevor es wieder klopfte und das aknezerfurchte Gesicht eines neunzehnjährigen Soziologiestudenten, der die weiblichen Geschlechtsorgane nicht einmal dann erkannt hätte, wenn man sie ihm auf dem Untersuchungstisch eines
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