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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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einen Sträfling gekettet Steine zu klopfen. »Müssen wir das?« fragte ich.
    »Die Interviews von Frauen erfordern ein bißchen mehr Finesse, würde ich sagen, als die von Männern, insbesondere die von Studenten etwa deines Alters, wo du wie ein Kommilitone oder ein älterer Bruder wirkst. Nein, ich weiß, wie du in dieser Hinsicht empfin- dest, in Hinsicht auf Frauen, meine ich, Mac und ich haben ausführlich darüber gesprochen« – er ließ das kurz wirken –, »und ich frage mich, ob du imstande bist, absolut professionell und neutral zu sein.«
    Ich machte ein paar bestätigende Geräusche.
Er musterte mich. Er stand vor mir, in Hemd und Fliege. »Versteh mich nicht falsch, Milk, aber deine Gefühle spiegeln sich zu oft auf deinem Gesicht wider, und wenn dir eine Frau – diese Frau morgen früh – etwas erzählt, was du möglicherweise stimulierend findest ...«
Ich mühte mich, ein unbewegtes und möglichst blasses Gesicht zu machen. »Also, ich glaube, wenn du mir eine Chance geben würdest ... Ich bin sicher, daß ich das kann, das heißt ...«
In dieser Nacht drillte er mich zwei Stunden lang. Zuerst war ich die Frau, dann er, dann wieder ich, dann wieder er. Die Fragen kamen eine nach der anderen, und seine Augen waren wie Peitschen, wie Güsse mit eiskaltem Wasser am frühen Morgen, hart und erbarmungslos. Er war anspruchsvoll, fordernd, überkritisch, und wenn ich einen Fehler machte, ließ er mich Kaffee trinken, bis meine Nerven so vibrierten, daß ich für den Rest der Nacht kein Auge zutat. Im Gegensatz zu Prok. Ich lag im Dunkeln da und dachte an tausend Dinge, hauptsächlich aber an Iris, die ich den ganzen Sommer nicht gesehen hatte, auch wenn wir uns beinahe täglich geschrieben hatten. Übermorgen würde sie zurück auf dem Campus sein, und ich dachte an sie, als die Schatten weicher wurden und von der Straße die ersten leisen Geräusche der erwachenden Welt hereindrangen. Prok schnaufte und schnarchte und schlief den Schlaf des Gerechten.
    Am Morgen, beim Frühstück auf unserem Zimmer, prüfte Prok mich noch einmal. Ich hob eine Gabel mit Toast und Rührei zum Mund, legte sie wieder hin, beantwortete die Frage und trank rasch einen Schluck Kaffee. Ich hätte beinahe protestiert – setzte er denn nach all der Zeit kein Vertrauen in mich? –, doch ich ließ ihm seinen Willen, obgleich es keine großen Unterschiede zwischen den Fragebögen für Männer und denen für Frauen gab. Lediglich die Art und die Abfolge der Fragen waren auf das jeweilige Geschlecht abgestimmt. Frauen mußte man beispielsweise nach dem Alter beim Einsetzen der monatlichen Periode und dem Beginn der Brustentwicklung und so weiter fragen. Doch es war nicht meine Kompetenz, die Prok in Frage stellte, sondern mein Alter und meine Erfahrung oder vielmehr mein Mangel an beidem. »Milk, ach, Milk«, sagte er immer wieder, »ich wollte, du wärst zwanzig Jahre älter. Und verheiratet. Und hättest Kinder. Wie viele Kinder willst du mal haben, John – sagen wir drei?«
    Zehn Minuten vor dem bewußten Interview, das um neun Uhr beginnen sollte, saß ich unten in dem Nebenzimmer. Bevor eine Person, die wir befragten, eintraf, notierten wir die grundlegenden Daten: Tag und Uhrzeit, laufende Nummer des Interviews (für unsere Registratur), Geschlecht der/des Befragten, Quelle der Geschichte (das heißt, auf welchem Weg der/die Befragte zu uns gekommen war – in diesem Fall handelte es sich natürlich um eine direkte Folge von Proks dringender Bitte am Ende seines Vortrags). Ich wußte nicht, was mich erwartete. In den kommenden drei Tagen würden wir etwa dreißig Interviews führen, und nächste Woche, auf dem Rückweg, würden es sogar noch mehr sein. Ich hatte keine Möglichkeit, eine Verbindung zwischen einem Namen auf der Terminliste und einem bestimmten Menschen herzustellen, obgleich ich diese Namen am Abend zuvor in die Liste eingetragen hatte. Die Frau, die ich befragen sollte – aus Gründen der Diskretion werde ich ihr einen anderen Namen geben –, war die junge Frau eines Professors, fünfundzwanzig, noch kinderlos. Mrs. Foshay. Nennen wir sie Mrs. Foshay.
    Es klopfte an der Tür. Ich saß in einem Sessel am feuerlosen Kamin, die Terminliste und Mrs. Foshays Fragebogen lagen ausgebreitet auf einem Couchtisch vor mir. Der andere Sessel – Mahagoni, roter Plüsch, edwardianische Standard-Hotelausstattung – stand mir genau gegenüber. »Herein«, rief ich und erhob mich, um sie zu begrüßen, als die Tür

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