Dr. Sex
hier mit mir treffen.«
»Das is ja ‘n Ding«, sagte der Mann leise. »Doktor, hm? Wolln Sie meine Hemmoriden abtasten?«
Prok zuckte nicht mit der Wimper. Niemand lachte. »Sie möchten nich zufällig noch ‘n Cocktail?« fragte er.
Es trat eine lange Pause ein. Prok rührte sich nicht und sah den anderen fest an, und schließlich ließ der Mann im blauen Anzug ein Lächeln aus den Falten rechts und links seines Mundes kriechen. »Crown Royal und Soda«, sagte er dann.
Der Drink wurde bestellt und gebracht. Inzwischen war Prok in ein Gespräch mit dem Mann im blauen Anzug und vier oder fünf anderen vertieft, die ihm am nächsten standen, und Rufus Morganfield, unser Kontaktmann, der bis dahin am anderen Ende der Theke gestanden und abgewartet hatte, wie sich die Dinge entwickelten, trat zu uns und stellte sich vor. Prok begrüßte ihn herzlich, und ich dachte, er würde auch ihm einen Drink spendieren, doch statt dessen verabschiedete er sich händeschüttelnd von allen, legte einen Arm um Rufus, den anderen um mich und schob uns hinaus auf die Straße. Sogleich verwandelte er sich wieder in sein gewohntes Ich, denn es war gar nicht nötig, Rufus zu hätscheln. Prok hatte ihn im Staatsgefängnis kennengelernt und seine Geschichte aufgezeichnet, und Rufus bekam fünfzig Cent für jedes von ihm vermittelte Interview mit einer der Prostituierten, die in dieser Gegend arbeiteten. (Ich sollte erwähnen, daß Prok sich, jedenfalls anfangs, sehr für Prostituierte interessierte, weil ihre Erfahrung soviel größer war als die der meisten anderen Frauen – das war, bevor wir Gelegenheit hatten, sie bei der Arbeit zu beobachten –, doch letztlich waren sie im Hinblick auf die Physiologie der verschiedenen Sexualpraktiken nicht so nützlich, wie man vielleicht annehmen könnte, und zwar wegen ihrer Neigung, gewisse Reaktionen vorzutäuschen.)
Mit Rufus als unserem Vergil waren wir jedenfalls in der Lage, die Prostituierten aufzuspüren. Wegen des Regens fanden sie an diesem Abend nur wenige Kunden und saßen in ihren Stammlokalen herum. Wir machten uns sogleich daran, ihre Geschichten aufzuzeichnen. Anfangs waren sie skeptisch – »Aber klar, Schätzchen, du zahlst einen Dollar und willst nur reden« – , aber wenn Prok eine Geschichte witterte, war er nicht aufzuhalten, und schon sehr bald hatte er sie überzeugt, daß das eine ganz saubere Sache war, rein wissenschaftlich, und daß wir sie nicht bloß als Quelle betrachteten, sondern als menschliche Wesen. Auch dies war etwas, worin sich Proks Genie offenbarte – oder vielmehr sein Mitgefühl. Er brachte den Befragten echte Sympathie entgegen. Und er hatte keinerlei Vorurteile, weder in rassischer noch in sexueller Hinsicht. Es war ihm völlig gleichgültig, ob jemand eine andere Hautfarbe hatte, ob er Italiener oder Japaner war, ob er Analverkehr bevorzugte oder auf das Hochzeitsfoto seiner Mutter masturbierte – jeder Befragte war ein Exemplar der menschlichen Spezies und eine Quelle für Daten.
Es stellte sich jedoch ein anderes Problem: In dieser Gegend gab es keine geeigneten Hotels, also keine privaten Räumlichkeiten, in denen wir die Interviews durchführen konnten. Zwar hatten wir den Wagen, doch den konnte nur einer von uns nutzen, und wir mußten die Befragungen ja gleichzeitig vornehmen. Der Regen hatte zugenommen, und wir- zwei Prostituierte, nicht älter als ich, Prok, Rufus und ich – standen an der Straßenecke, als Rufus eine Lösung einfiel. »Ich hab ein Zimmer«, sagte er, »zwei Blocks von hier. Nichts Tolles, aber es gibt elektrisches Licht, ein Bett und einen Stuhl, und wenn das reicht ...«
Schließlich entschied Prok, daß er den Nash nehmen und mir den relativen Komfort von Rufus’ Zimmer überlassen würde, denn ich war ja noch Anfänger und sollte nicht durch zusätzliche Erschwernisse wie Kälte, Regen und unzureichende Beleuchtung behindert werden. Es war eine noble Geste, vielleicht von praktischen Erwä- gungen diktiert, doch sie war letztlich zu seinem Nachteil. Ich ging mit dem Mädchen – ich spreche hier von »Mädchen«, weil sie erst achtzehn war, mit schräg stehenden, zimtfarbenen Augen und einer Haut, so braun wie die Trinkschokolade, die zu Hause von der Molkerei Bornemann verkauft wurde – in Rufus’ Zimmer am Ende eines Korridors im zweiten Stock eines frei stehenden Backsteinhauses, das einst ein Einfamilienhaus gewesen war und dessen Zimmer nun einzeln vermietet wurden. Anfangs schien sie im Zweifel zu sein und
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