Dr. Sex
klopfte leise an das Seitenfenster auf der Fahrerseite.
Genau in diesem Augenblick bog hinter mir der Polizeiwagen um die Ecke. Seine Lichter begannen zu blinken.
Ich war noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen und hatte keinen Grund, von den beiden Polizisten, die aus ihrem Wagen stiegen, irgend etwas anderes als Höflichkeit und freundliche Unterstützung zu erwarten, ja ich dachte absurderweise, sie seien hier, um uns zu helfen, so viele Prostituierte wie möglich zu kontaktieren, damit wir unsere Interviews leichter durchführen konnten. Es kam jedoch anders. Die Situation entwickelte sich derart dynamisch, daß ich erst sehr viel später begriff, was eigentlich geschehen war. Die beiden Polizisten – klein und stämmig, mit der breiten Brust und dem o-beinigen Gang von Rugbyspielern – kamen auf mich zu. Ich stand noch immer neben dem Fenster des Nash. Der eine war etwa in Proks Alter und hatte eine breite Nase und ein gerötetes Gesicht. Er packte wortlos meine Arme, drehte sie mir auf den Rücken und legte zwei metallene Bügel um meine Handgelenke. Mit anderen Worten: Handschellen.
»Aber ... aber was machen Sie denn da?« fragte ich. Oder vielmehr: stammelte ich. Der Regen fiel auf mein Gesicht, durchnäßte die Ärmel und Schultern meines Jacketts und sickerte in mein pomadisiertes Haar, das nun wild in alle Richtungen stand und einen traurigen Anblick bot (in der Eile hatte ich Hut und Mantel im Zimmer zurückgelassen). »Nein, nein, nein, Sie machen einen Fehler. Sie müssen doch ... Sie müssen ... Verstehen Sie denn nicht ...«
Der zweite Polizist – er war blond und hatte blasse Augenbrauen und einen dünnen Schnurrbart, der wie der von Paul Sehorn verschwand, als das Einsatzlicht des Streifenwagens über sein Gesicht glitt – hatte meinen Platz neben der Fahrertür eingenommen. Er klopfte mit seinem Knüppel gegen das Fenster, und sein Klopfen war dringlicher als meins. Das Fenster wurde hinuntergekurbelt, Proks erstauntes Gesicht erschien, und dann legte der Polizist die Hand auf den Griff und riß die Tür auf. »Okay«, sagte er, »aussteigen.«
Unterwegs zur Wache, zusammengedrängt auf dem Rücksitz des Streifenwagens, die Prostituierte (Verleen Loy, 1,65 m, 58 kg, geb. 17.3.1924) zwischen uns, protestierte Prok mit klaren, zornigen Worten. Wußten sie eigentlich, wer er war? Wußten Sie, daß der National Research Council, die Rockefeller Foundation und die Indiana State University seine Forschungen unterstützten? War ihnen bewußt, daß sie den Fortschritt der Menschheit zu einem besseren Verständnis eines der bedeutendsten Verhaltensmuster der menschlichen Spezies behinderten?
Dessen waren sie sich nicht bewußt, nein. Einer der beiden – der mit dem roten Gesicht, der mir die Handschellen angelegt und mich dann ohne erkennbaren Grund an die Mauer des Hauses hinter mir gestoßen hatte – drehte sich um und wandte sich in einem Ton, den ich ebenso derb wie beleidigend fand, an die Prostituierte. »Na, Verleen«, sagte er breit grinsend, »halten wir hier den Fortschritt auf?«
Der vorbeihuschende Schein einer Straßenlaterne fiel auf ihr Gesicht. Ihre Augen sprachen von Mißhandlungen, und ihre Zähne sahen aus, als wären sie spitz gefeilt. Sie antwortete mit leiser Stimme, die über dem Zischen der Reifen auf der nassen Fahrbahn kaum zu verstehen war. »Ihr haltet gar nichts auf«, sagte sie.
Auf der Wache schien sich die Angelegenheit zum Besseren zu wenden. Der wachhabende Beamte war zwar äußerst skeptisch, aber auch beeindruckt von Proks Auftreten und Erscheinung (und ich glaube, er hatte Mitleid mit mir, weil meine Haare so zerzaust waren und ich so niedergeschlagen aussah). Nachdem er festgestellt hatte, daß Prok tatsächlich der war, der er zu sein behauptete, ließ ihn der Wachhabende mit H.T. Briscoe, dem Dekan der biologischen Fakultät an der Indiana State, telefonieren. Die Handschellen schnitten in meine Handgelenke, als ich dastand und zusah, wie Prok die Nummer aus dem Gedächtnis aufsagte und der Beamte sie an die Vermittlung weitergab.
Es war nach zwei Uhr morgens. Verleen war abgeführt worden und saß in irgendeiner Zelle, und aus dem Zellenblock für Männer an der Rückseite des Gebäudes hörte ich hin und wieder einen Schrei oder ein Wimmern. Ich schäme mich nicht zu sagen, daß ich Angst hatte. Ich war keine dreiundzwanzig und hatte wenig bis nichts von der Welt gesehen. Und nun hatte ich gegen das Gesetz verstoßen und eine komplizierte Anklage wegen
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