Dr. Sex
mit stecknadelgroßen Augen und einem Mund, der die ganze untere Hälfte ihres Gesichts beherrschte, und es ist eigenartig, daß ich mich heute nicht mehr an ihren Namen erinnern kann. Doch das spielt kaum eine Rolle: Sie war da, in einem schulterfreien Kleid, und tat, was sie zu tun hatte. Anfangs hatten Iris’ Eltern auf eine kirchliche Hochzeit und den Segen eines Priesters gedrängt, doch seit sie aufs College ging, hatte Iris sich vom katholischen Glauben entfernt (oder vielmehr: sie war ihm mit gesenktem Kopf und gegen den Strom davongeschwommen), und als abtrünniger Methodist verspürte ich keinerlei Neigung, irgendeiner Kirche beizutreten, und ganz sicher keiner, die derart kompromittiert war durch Mysterienkrämerei, Aberglauben und Repression. Und Prok, der die Hochzeit ausrichtete, waren alle Religionen, alle religiösen Menschen ohnehin ein Greuel.
Doch zunächst ein Wort über Iris, denn ich merke, daß ich sie hier vernachlässigt habe. Immerhin ist sie eine zentrale Figur in dieser Geschichte, in Proks Geschichte, denn an jenem Tag Ende Mai 1941 wurde sie das vierte Mitglied des engsten Kreises und nahm ihren Platz neben Prok, Mac und mir ein, und alles, was seitdem geschehen ist, betrifft sie ebensosehr wie alle anderen. Sie war ... Nun ja, sie hatte etwas Unabhängiges. Sie hatte ihren eigenen Kopf. Sie bildete sich ihre eigene Meinung. Und obgleich ich damals so stark auf das Projekt und unser gemeinsames Ziel fixiert war, daß ich ihre geistige Ungebundenheit nicht klar erkannte, würde ich sagen, daß diese im Lauf der Jahre noch zunahm, bis Iris schließlich beinahe in offenem Widerspruch zu dem stand, woran wir glaubten. Es war eine Rebellion oder kam jedenfalls einer Rebellion sehr nahe. Aber ich schweife ab. Iris. Ich will sie mit ein paar Worten beschreiben. Sie ist schön. Dickköpfig. Geistreich. (Ich kenne niemanden, der so schlagfertig ist wie sie, mit Ausnahme vielleicht von Corcoran.) Blitzgescheit. Hervorragend organisiert. Als Schülerin und auf dem College spielte sie Klarinette, und bis zu ihrem letzten Studienjahr, als wir längst verheiratet waren, zog sie jeden Samstagmorgen eine gestärkte Uniform an und marschierte mit der Kapelle über die leuchtendgrüne große Rasenfläche des Campus. Sie war eine gewissenhafte Studentin, obwohl ihre Noten nicht so gut waren wie meine (was ja eigentlich auch keine Rolle spielt), sie besaß ein verblüffendes künstlerisches Geschick und war imstande, unseren Haushalt – unseren erst noch zu gründenden Haushalt – trotz äußerst karger Mittel mit eindeutiger Eleganz zu versehen. Was noch? Ihr Lächeln. Ich wollte auf diesem Lächeln davonsegeln, und lange tat ich das auch. Und ihre sexuellen Reaktionen natürlich – in einem Bericht wie diesem kann ich sie nicht aussparen. Was ich Prok erzählt hatte, entsprach weitgehend der Wahrheit. Sie hatte sich mir geöffnet, sie liebte mich, und als wir uns besser aneinander gewöhnt hatten, als wir immer mehr Zeit auf dem Rücksitz von Proks Wagen oder, nachdem es wärmer geworden war, auf einer Decke in einem abgelegenen Winkel des Parks verbrachten, ließ sie ihrer Leidenschaft freien Lauf. Wir begannen zu experimentieren, und sie entwickelte einen zunehmenden Enthusiasmus und nahm mehrmals aus eigenem Antrieb die Stellung ein, bei der die Frau oben liegt. Und obgleich sie niemals, in keiner Situation, unanständige Wörter gebraucht hätte, gebrauchte sie sie dann doch, wenn sie die Augen verdrehte und ihre Hände an meinen Schultern zerrten, als wollte sie mich in ihre Brust hinein- und noch weiter ziehen, in die Erde und tiefer, tiefer. »Ficken«, rief sie dann. »Ficken ... Fotze ... Ficken ...«
Prok hatte einen Friedensrichter gebeten, eine schlichte Trauung unter dem Persimonenbaum hinter dem Haus vorzunehmen, und erhebliche Mühen auf sich genommen, um das Klavier in den Garten zu schaffen, so daß er mit dem Hochzeitsmarsch die Zeremonie besiegeln konnte. (Ich habe noch gar nicht erwähnt, daß er als Junge davon geträumt hatte, Konzertpianist zu werden, und diesen Traum erst aufgab, als er seine wahre Berufung, die Wissenschaft, entdeckte. Er war ein guter Pianist, so gut wie einer, der in kleinen Konzertsälen auftritt, und er erfreute uns an jenem Nachmittag nicht nur mit dem Hochzeitsmarsch, sondern auch mit einem Potpourri aus Peer Gynt, das gespenstisch gut zu der märchenhaften Szenerie paßte.) Prok am Klavier, Iris in meinen Armen, Tommy an meiner Seite: So nahe war ich
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