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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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bei Mrs. Lorber. Zwar verbrachten wir jede freie Minute damit, uns Wohnungen, Zimmer, umgebaute Keller und diverse als »Mietwohnung« annoncierte Anbauten anzusehen, doch wir fanden nichts, was sowohl erschwinglich als auch erträglich war, und so mußten wir uns wieder mit einer Decke im Park oder dem Rücksitz von Proks uraltem Nash begnügen. Dabei waren wir verheiratet, und ich war erwachsen und hatte eine Vollzeitstelle. Prok hatte viel Verständnis für unsere Situation, aber Sie dürfen nicht vergessen, daß der Löwenanteil der Mittel für das Projekt damals noch aus seiner eigenen Tasche stammte, also aus seinen Bezügen als Professor und den Tantiemen seines Biologie-Lehrbuchs, und ich konnte unmöglich erwarten, daß er mein Gehalt auch nur um ein paar Dollar pro Woche erhöhte.
    Wie zahllose Paare, die während der Weltwirtschaftskrise hatten getrennt leben müssen, improvisierten wir. Wir sparten und malten uns in lebhaften Bildern aus, wie unsere erste Wohnung aussehen würde, und mittlerweile ging der Sommer unmerklich in Herbst über, und die Nachrichten aus dem Ausland wurden schlecht und schlechter. Es war eine seltsame, beunruhigende Zeit, diese Zeit zwischen unserer Hochzeit und dem Kriegseintritt. Einerseits waren wir voller Hoffnung, doch andererseits stürzte uns alles, was wir taten, und sei es noch so selbstverständlich, in Zweifel: Warum sollte ich diesen Dollar sparen, meine Zähne pflegen, mir Gedanken über mei- ne Ernährung machen, warum sollte ich von meiner Frau, von einer Wohnung, von der Zukunft träumen, wenn das Beil jeden Augenblick fallen konnte? Ich kannte viele Männer, die verzweifelten. Andere verheizten ihre Energie und ihre Mittel, Tag und Nacht – carpe
    diem.
Meine Krise setzte Ende Oktober ein. Prok und ich hatten frohlockt, weil wir eine Korrelation zwischen dem Bildungsstand und der Anzahl der Sexualpartner während der Adoleszenz entdeckt hatten. Es war wie eine Regel, und das war das Wunderbare: Diejenigen, die nicht aufs College gingen, machten zahlreichere und umfassendere sexuelle Erfahrungen als diejenigen, die ein Studium begannen. Ich weiß noch, wie hochgestimmt ich in Mrs. Lorbers Studentenpension zurückkehrte. Ich freute mich auf das Abendessen mit Iris, auf den Film, den wir uns danach ansehen wollten, und auf ein, zwei schöne Stunden auf dem Rücksitz des Nash, und als ich den offiziell wirkenden Briefumschlag sah, der neben einem Stoß Rundschreiben auf dem kleinen Tisch im Vestibül lag, ahnte ich zunächst nichts Böses.
    Einberufungsbehörde stand da. Amtlicher Bescheid. Sie kennen diese Art von Mitteilung sicher: Die Sprache ist so klinisch wie eine Beschreibung der neuesten Methode zur Darmentleerung oder eine Anleitung zur sachgerechten Installation eines neuen Kondensators im Radioapparat, und doch ist sie geeignet, einen auf der Stelle hellwach zu machen.
    Werter Mitbürger!
Nachdem Sie sich zwecks Prüfung Ihrer Verfügbarkeit für den Dienst in den Landoder Seestreitkräften der Vereinigten Staaten von Amerika einer aus Ihren Mitbürgern bestehenden Kommission vorgestellt haben, teilen wir Ihnen hierdurch mit, daß Sie aufgefordert sind ...
    Es war nicht so, daß ich nicht gehen wollte. Langsam wimmelte es auf dem Campus von jungen Männern in Uniform, die Studentinnen würdigten jeden, der Zivil trug, keines Blickes mehr und hüllten sich in Rot, Weiß und Blau, und man darf nicht vergessen, daß alle nach und nach von einer Begeisterung erfaßt wurden und ich den ehrlichen Wunsch verspürte, hinauszuziehen und mein Land und die Freiheit zu verteidigen, die bedrängten Briten vor dem Terror der deutschen Luftwaffe und die Albaner vor den Italienern und so weiter zu beschützen. Dennoch, als ich an diesem friedlichen Nachmittag durch die Tür trat und den Umschlag dort vorfand, wo Mrs. Lorber ihn hingelegt hatte, nachdem sie ihn zweifellos eingehend von allen Seiten und im Licht der hellsten Lampe untersucht hatte, erschrak ich. Ich hatte gerade erst geheiratet, stand am Anfang meiner Karriere, verdiente eigenes Geld (nicht viel, aber immerhin) und hatte ein Automobil zur Verfügung – und nun sollte ich noch einmal von vorn anfangen, unter Fremden und an einem fremden Ort. Es war auch nicht so, daß ich Angst hatte. Ich war zu jung, zu gesund, um mir auch nur in schlimmen Träumen auszumalen, ich könnte verwundet, verstümmelt oder gar getötet werden. Solche Dinge passierten nicht konkreten Personen – mir –, sondern irgendwelchen

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