Dr. Sex
dem Paradies noch nie gewesen. Und meine Mutter war selbstverständlich ebenfalls da. Sie war mit Tante Marjorie gekommen, ein schmales, entrücktes Lächeln auf dem Gesicht. Ich glaube, sie trank zuviel an diesem Tag. (Es waren Rum-Cocktails – Prok hatte eine Leidenschaft dafür entwickelt, nicht so sehr, weil ihm das Trinken gefiel, sondern weil er gern Rezepte sammelte, und so tranken wir schon am Nachmittag Zombies, und in einem Eisbett stand eine Kristallschüssel mit etwas, das sich Charleston Cup nannte.) Sie weinte allerdings nicht, nur Mac vergoß ein paar Tränen. Die Zeremonie muß meine Mutter, die in keiner Weise zur Sentimentalität neigte (sie hatte sich mir gegenüber mehr als einmal als Fatalistin bezeichnet), an ihren eigenen Hochzeitstag vor vielen Jahren zurückversetzt und sie daran erinnert haben, daß das, was später folgte, nicht die Erfüllung der Träume einer jungen Braut gewesen war, sondern eine Katastrophe. Aber sie war mit Iris einverstanden, denn sie spürte, daß Iris über Stehvermögen verfügte, und das war das einzige, was es meiner Mutter ermöglicht hatte, alles zu überleben: Um in einer Welt der Kriege und Verwüstungen und Bootsunglücke durchzuhalten, brauchte man Zähigkeit und Stehvermögen, besonders als Frau.
Irgend jemand – Tommy, die Brautjungfer oder Paul Sehorn – hatte ein Sortiment alter Töpfe und Reibeisen an die hintere Stoßstange des Nash gebunden, und Prok, der kerzengerade wie ein Chauffeur neben meiner Mutter und der kerzengeraden Mac am Steuer saß, verzog auf dem ganzen Weg zum Bahnhof das Gesicht über diesen Lärm, während Iris und ich aneinandergeschmiegt auf dem weichen Leder der breiten, vertrauten Rückbank saßen.
9
Mit unserer Hochzeitsreise folgten wir dem Beispiel, das Prok und Mac zwanzig Jahre zuvor gegeben hatten, das heißt, wir machten eine ausgedehnte Campingtour, allerdings nicht durch die White Mountains in New Hampshire, sondern durch die Adiron-dacks, eine Gegend, die mich schon als Junge, der zwischen den mit Gestrüpp bewachsenen Hügeln und Dünen am Ufer des Lake Michigan aufwuchs, fasziniert hatte. Iris hatte mit dem Zelten nicht viel Erfahrung und ich, ehrlich gesagt, auch nicht. Es erschien mir jedoch wie ein Abenteuer und hatte den zusätzlichen Vorteil, billig zu sein. Das war auch eines der Motive gewesen, die Prok damals dazu bewegt hatten; er war freilich ein Naturkundler, der sein Leben lang gezeltet hatte und sich, wenn es sein mußte, ohne weiteres von Wurzeln, Beeren und Bucheckern ernähren konnte – was ich, wie man sich denken kann, weder konnte noch wollte. Iris hielt sich tapfer, das muß ich ihr lassen, obgleich sie für eine konventionellere Hochzeitsreise nach Niagara Falls votiert hatte, und tatsächlich fuhren wir auch dorthin und verbrachten eine Nacht in einem Hotelzimmer, das soviel kostete wie der ganze Rest der Reise zusammengenommen. Ich habe schöne Erinnerungen an diese Zeit – Iris im Badeanzug und mit Gänsehaut am Rand eines gerade eben eisfreien Sees, der Duft des Nadelwalds und der betörende Geruch unseres Feuers, die Berührung ihrer Hände, unsere landstörzerischen Liebesakte in einem für eine Person konzipierten Schlafsack, eingetaucht in schwärzeste Finsternis und absolute Stille –, aber alles in allem hatte das Vergnügen auch seine Grenzen. Ich werde hier nicht auf die Details eingehen, die nichts zur Sache tun, und mich darauf beschränken zu sagen, daß die Insekten gnadenlos waren und das Zelt seiner Funktion nur knapp gerecht wurde, daß das Wetter gräßlich und der Boden hart war wie eine Eisenbahnschiene aus einem Stahlwerk in Gary, Indiana.
Nicht daß das wichtig zu sein schien (natürlich war es das, aber wir gaben uns alle Mühe, einander zu versichern, daß es nicht so war). Wichtig war, daß wir zusammen waren, nur wir beide, zum ersten Mal in unserem Leben. Wir verwandelten das große weiße Bett in dem Hotelzimmer in Niagara Falls in eine erotische Spielwiese und ergingen uns in Aktivitäten – Fellatio, Cunnilingus, Analverkehr –, für die ich bei Mac zu gehemmt, zu sehr in Eile gewesen war. Damals wußten wir es noch nicht, aber ironischerweise waren diese zwei Wochen für beinahe ein ganzes Jahr unsere letzte Gelegenheit, diese Art von Freiheit zu genießen. Soll heißen: In Bloomington kehrte Iris ins Wohnheim zurück und war, in der Hoffnung, ihr Studium zu beschleunigen, das ganze Sommersemester über eine fleißige Studentin, und ich wohnte weiter
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