Dr. Siri sieht Gespenster - Cotterill, C: Dr. Siri sieht Gespenster - Thirty-Three Teeth
Empfehlungsschreiben vom Justizministerium hervor. In den meisten Fällen reichte der bloße Besitz eines Dokuments als Türöffner völlig aus. Kaum jemand machte sich die Mühe, den ebenso langen wie langweiligen Text zu lesen. Der Briefkopf genügte. Der Beamte witterte eine Intrige.
»Was hat sie denn ausgefressen?«, fragte er.
»Sie gibt sich als Krankenschwester aus, marschiert in diese und jene Behörde und verlangt dies und das. Es ist wirklich unglaublich.«
»Mist. Ich wusste doch gleich, dass mit der etwas nicht stimmt. Wie eine richtige Krankenschwester sah sie jedenfalls nicht aus.«
»Warum erzählen Sie mir nicht einfach, was passiert ist?«
Der Registraturbeamte war sichtlich erregt. Sein tristes Leben hatte Tage wie diesen bitter nötig.
»Sie platzt ins Büro, als ob sie hier zu Hause wäre, und behauptet, Dr. Vansana hätte sie geschickt, um in den Akten etwas nachzuschauen. Dr.Vansana ist der für die Haftanstalten zuständige Arzt. Ha! Als ob jeder x-Beliebige, der hier hereinmarschiert und sich als wer weiß was ausgibt, Einsicht in meine Akten nehmen könnte! Sie hatte ja nicht mal ein P124.«
»Das ist nicht Ihr Ernst.«
»So wahr ich hier sitze, Genosse. Tja, da Dr. Vansana heute am Stausee draußen ist, konnte ich ihre Geschichte nicht überprüfen. Und eins kann ich Ihnen sagen: An meine Schubladen lasse ich so leicht niemanden ran.«
»Recht so.«
»Eben. Sie führte sich auf wie eine Furie, und ich erklärte ihr, dass ich ohne ein gültiges IntQ5 eigentlich noch nicht mal mit ihr sprechen dürfe; sie solle sich die nötigen Papiere besorgen und dann noch einmal wiederkommen. Ich sagte: ›Wo kämen wir denn da hin, wenn sich kein Mensch an den vorgeschriebenen Dienstweg halten würde?‹«
»Ganz Ihrer Meinung.«
»Ich möchte nur ungern wiederholen, was sie darauf gesagt hat. Ich wünschte ihr einen guten Tag und widmete mich wieder meiner Arbeit. Sie stürmte hinaus, und nach einer Weile beruhigte ich mich und dachte nicht mehr an sie. Ich hatte einen KomBes-Antrag zu bearbeiten und brauchte dazu dringend ein R11. Leider fehlt es mir im Augenblick
an Personal. Normalerweise schicke ich ein junges Fräulein, wenn ich eine Akte aus der Ablage brauche, aber momentan muss ich das selbst erledigen. Ich gehe also nach nebenan, und siehe da – die Tür ist abgeschlossen. Ich klopfe und klopfe, und wer macht mir auf?«
»Ich kann es mir schon denken.«
»Sie, wer sonst? Dreist und schamlos steht sie da und hat doch tatsächlich die Stirn, mir zu erklären, sie habe sich verlaufen und sei aus Versehen in der Ablage gelandet, deren Tür sich nicht mehr öffnen ließ. Nicht besonders glaubwürdig, oder was meinen Sie? Denn erstens lässt sich die Tür nur von innen verriegeln, und zweitens hatte sie mir aufgemacht. Ich war perplex. Einen so eklatanten Verstoß gegen die Vorschriften hatte ich noch nie erlebt.
Ich hätte sie natürlich sofort festsetzen und den Sicherheitsdienst rufen sollen oder, besser noch, die Polizei. Aber wie Sie schon sagten, sie war ziemlich kräftig, und ich bin körperlich nicht auf der Höhe, darum habe ich sie aufgefordert, unverzüglich das Gebäude zu verlassen. Und was macht sie? Sie marschiert lächelnd an mir vorbei und tut, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Ist das zu glauben?«
»Durchaus.« Auch Siri konnte sich ein Lächeln nur schwer verkneifen.
»Was?«
»Ich meine, sie ist eine notorische Kriminelle. Diese Leute kennen keinen Anstand und kein Schamgefühl. Zu dumm, dass Sie nicht wissen, welche Akte sie gesucht hat.«
»Ha! Nicht wissen? Ich habe ein ganzes Jahr gebraucht, um dieses System zu erstellen. Und da glauben Sie, ich wüsste nicht, welche Akte sie sich angesehen hat? Sie hat sich ja nicht einmal die Mühe gemacht, sie wieder richtig
einzusortieren. JVB19368.3. Und das, Genosse, ist eine Vorstrafenakte.«
»Ich wünschte, all unsere Zeugen wären so gewissenhaft wie Sie, Genosse. Ich fürchte, ich werde einen Blick in besagte Akte werfen müssen. Sie ist das Einzige, was wir gegen sie in der Hand haben.«
»Wie ist ihr Name?«
»Ihr Name? Wir führen den Fall unter dem Aktenzeichen … äh, HJJ838.«
Der Mann machte sich eine Notiz.
Zwanzig Minuten später trat Siri aus der Tür der Justizvollzugsbehörde und lief gegen eine Wand aus Hitze. Es musste das heißeste Jahr sein, das er je erlebt hatte. Seit letzten Dezember hatte es lediglich ein paar Tropfen geregnet. Nichts war mehr richtig grün.
Ein Rudel
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