Draakk: Etwas ist erwacht. (Horrorthriller) (German Edition)
Stethoskop. Ein in blauer Schreibschrift besticktes Schildchen auf der Brusttasche des Kittels verriet Singer den Namen des Arztes. Ausgesprochen hübsch, fand Singer, nur leider nicht besonders leserlich. Irgendwas mit »W«.
»Na, Sie Schlafmütze, wie fühlen wir uns heute Mittag?«, dröhnte ein markerschütternder Bass aus der Brust des Ungetüms, bei dem es sich nur um den zuständigen Oberarzt handeln konnte.
»Oh, schon viel besser, Dr. ...äh, Wos-tri-atz-ky.«, entzifferte Singer mühevoll das Namensschild an der Brust des Arztes.
»Das freut mich zu hören, denn ich denke, wir haben Sie allmählich genug aufgepäppelt«, brummte es aus dem massigen Gesicht über der ungeheuerlichen Kinnlade. »Zeit, das Bett für jemanden frei zu machen, der es wirklich benötigt, wie?«
Ein Donnergrollen, das vermutlich ein Lachen darstellen sollte.
Singer fragte sich fasziniert, wie es überhaupt möglich war, dass so viele Zähne, jeder von der Größe eines kleinen Grabsteins, in einem einzigen Mund Platz fanden. Der Arzt sah aus, als ob er Bäume verspeiste. Zum Frühstück. Und anschließend ein paar Autos oder Häuser.
»Ich weiß zwar nicht, wie sie es schaffen konnten, derart zu dehydrieren, mein Guter, aber das nächste Mal nehmen sie doch einfach eine große Wasserflasche mit, wenn sie sich schon mitten in der Nacht im Wald verlaufen müssen. Oder noch besser: Sie verlaufen sich gar nicht erst!« Das fand Dr. Wos-tri-atz-ky nun wirklich zum Brüllen komisch, aus seiner Brust drangen Geräusche, die Singer an das Nebelhorn eines Dampfschiffs denken ließen. Prustend stapfte der Arzt zum Fenster und öffnete es mit Bestimmtheit, vermutlich in der Hoffnung, dass Singer gleich mit hinausgeweht würde. Dann drehte er sich wieder zu seinem Patienten um.
»Scherz beiseite, machen Sie sich schon mal bereit, ja?«, brüllte er. »In 10 Minuten schicke ich Ihnen die Schwester mit dem Papierkram und ein paar Klamotten vorbei. Ihr Jagdanzug war leider nicht mehr zu retten.«
Er warf Singer ein breites Grinsen zu. »Und dann ab nach Hause, nehmen Sie ein Bad, lesen Sie ein gutes Buch oder so. In zwei Tagen sind Sie wieder fit!«
»Werde ich tun. Nichts lieber als das, Dr. Wostriatzky«, log Singer.
»Wos-tratz-ky«, röhrte der grinsende Gigant, »das ‘I’ ist nämlich stumm.« Darauf schien er aus irgendeinem mysteriösen Grund stolz zu sein. Schließlich setzte er sich wieder in Richtung Tür in Bewegung.
Bevor er das Zimmer verließ, zögerte er für einen Moment und drehte sich noch einmal zu Singer um. »Ach ja, und lassen Sie bei Ihrem nächsten Jagdausflug lieber die Hand ein wenig vom Zielwasser, ja? Ich habe mir mal ihre Leberwerte angeschaut. Naaa jaaa …« Wostriatzky warf einen skeptischen Blick über seine Schulter in Singers Richtung und vollführte mit seiner riesigen Pranke eine abwägende Geste in der Luft, bevor er zur Tür hinausstiefelte. Dabei grinste er nicht mehr.
Ein wenig später kämpfte sich Singer durch den gewaltigen Stapel Papier, den ihm die Schwester brachte – offenbar war dies das übliche Prozedere, wenn im Krankenhaus jemand ohne Ausweis eingeliefert wurde. Nach endlosen Formalitäten, Erklärungen und Unterschriften glaubte man ihm schließlich, dass er im richtigen Leben tatsächlich krankenversichert und nicht vorbestraft war und seine Rechnungen mehr oder weniger pünktlich zu bezahlen pflegte. Damit war er offiziell entlassen.
Anschließend quälte er sich in die Klamotten, die man ihm mit der treffsicheren Stillosigkeit eines blinden Modeschöpfers zusammengewürfelt hatte: Ein knallbuntes Hawaii-Hemd, dessen Vorderseite ein riesiger Papagei zierte, der die optische Illusion eines immensen Bierbauchs hervorrief, auch wenn sich – wie in Singers Fall
Weitere Kostenlose Bücher