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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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noch?«
    Kartan wiegte nachdenklich den Kopf. »Ein Tag? Eine Woche? Ich bin keiner von den Ärzten. Vielleicht ist er schon jetzt nicht mehr bei Bewusstsein?«
    Da sah der Thronfolger Nepals seinen Vater vor sich, sah ihn in seinem großen Bett, das er seit Beginn ihres ewigen Schlafes nicht mehr mit der Königin teilte, sah ihn unter all den prächtigen, bestickten Kissen inmitten von kühler Seide liegen, hörte den Ventilator über ihm summen – und wie klein, wie winzig die Gestalt seines Vaters wirkte! Wie verloren!
    »Er hat nach seinem Sohn gefragt«, sagte Kartan. »Aber keiner konnte ihm eine Antwort geben. Er wird wohl nie mehr mit ihm sprechen.«
    Da stieg etwas Heißes, Ungewohntes in Jumar auf, etwas, das er nicht kannte und das ihm Angst machte. Es war, als erhebe sich der Schmerz in ihm und wollte hinaus, und da er seinen Mund verschlossen vorfand und die Worte verboten, wählte er seine Augen. Der Ausblick in das grüne Flusstal verschwamm vor Jumar, und er blinzelte. Etwas Warmes lief seine Wange hinunter, fand seinen Mund, schmeckte salzig dort.
    In seinem Kopf tauchten Niyas Worte auf:
    #Von mir wirst du keine Tränen sehen,
    ich werde über die Berge gehen,
    ich habe noch nie geweint.
    Es war wahr: Er hatte noch nie geweint. Die Tatsache verwunderte ihn, und die Macht der Tränen, die jetzt aus ihm heraus-flossen, überraschte ihn. Woher kam nur all dieses Wasser? Wieso konnte er es nicht zurückhalten? Er kämpfte umsonst. Seine Augen brannten, und hinter dem Film aus Tränen sah er das große Bett und seinen winzigen Vater, und er wusste, dass Kartan recht hatte: Es war zu spät.
    Der König würde nie mehr mit seinem Sohn sprechen. Er würde nie erfahren, weshalb er die Stadt verlassen und was er alles gelernt hatte. Und er würde sterben, ohne ihn ein einziges Mal gesehen zu haben.
    »Moment«, hörte er Kartans Stimme über sich. »Weinst du? Du weinst doch nicht etwa?«
    Seine kalten Finger fuhren über Jumars Wange und fanden die verräterischen Tropfen dort.
    Durch den Schleier vor seinen Augen sah Jumar, wie Kartan seine Finger anstarrte.
    »Du bist nicht sein Freund«, sagte er langsam. »Du bist nicht der Freund des Thronfolgers.«
    Nun war das gebügelte Gesicht ganz nahe, der Blick darin suchte unter Jumars Tränen ... suchte und fand.
    »Nein«, stellte Kartan fest. »Du siehst ihm ähnlich. Aber du bist nicht er. Du bist es selbst. Du bist der Sohn des Königs. Der Thronfolger. Der Kronprinz.«
    Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Du bist – sichtbar.«
    In diesem Moment wusste Jumar, dass er Kartan nicht mehr belügen konnte. Und er wusste, dass ihm nur diese eine Sekunde blieb, in der Kartans Überraschung seinen Griff lockerte.
    Es kostete ihn all seine Willenskraft, das Bild seines sterbenden, geschrumpften Vaters gewaltsam aus seinem Kopf zu verdrängen, und er entwand sich Kartans Griff mit einem Ruck.
    Kartans Hände folgten ihm nicht. Stattdessen glitten sie in seine Tasche, und Jumar blickte in den Lauf eines Revolvers.
    Doch da stand er schon auf dem Geländer.
    Als Kartan abdrückte, machte der Sohn des Königs, der Thronfolger Nepals, der Kronprinz einen Schritt nach hinten: einen Schritt ins Nichts. Einen Schritt in die Zukunft.
    Er fiel lautlos.
    Kartan sah ihm nach, schüttelte den Kopf und steckte die Waffe ein.
    Dann verließ auch er den Checkpoint, stieg auf sein schwarzes Pferd und ritt seinen Leuten nach. Es wurde Zeit, dass sie nach Kathmandu hinunterkamen, wo er sie brauchte.
    Sie waren nur noch hundert Meter von den ersten Häusern des Dorfes entfernt, als der Schuss fiel.
    »Was –?«, fragte Christopher.
    Niya legte den Finger an die Lippen und lauschte. Ein Pferd schnaubte. Jemand sprach beruhigend auf das Tier ein, und gleich darauf hörten sie seine Hufe auf dem steinigen Weg; Hufe, die sich rasch entfernten.
    Sie rannten los, ohne zu wissen, warum. Niya erreichte die Wegbiegung als Erste, und von hier aus sahen sie ihn: einen Reiter auf einem schwarzen Pferd.
    Und hinter ihm, weiter unten, die Schlangenlinien endloser Reihen von Soldaten.
    »Verdammt will ich sein«, flüsterte Niya, »wenn das nicht Kartan ist, der dort reitet. Aber er reitet, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Oder der Tod.«
    Sie schien dem Nachhall ihrer eigenen Worte zu lauschen.
    »Wo ist Jumar?«, fragte Arne.
    Niemand antwortete ihm. Niya legte das Gewehr an und zielte auf den Reiter auf dem schwarzen Pferd, aber Christophers Arm kam ihr in die Quere.
    »Wenn

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