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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Geschäft.
    Der Atem der Vergangenheit hing über dem Raum. Jumar trat ans Fenster und sah hinaus, hinunter ins Tal, wo wieder Grünes winkte. Neben dem Raum gab es eine kleine Terrasse, auch sie lehnte sich wagemutig über den Abgrund. Zwei verwitterte Stühle standen in Betrachtung der Szenerie versunken.
    Auch die Tür zur Terrasse war nur angelehnt. Jumar trat hindurch – und sah, dass jemand am Geländer der Terrasse stand. Er stand so still, dass er ihn erst bemerkte, als er sich umdrehte.
    Im gleichen Moment drückte der Wind die Terrassentür zu.
    Und Jumar erstarrte.
    Der Mann am Geländer war hochgewachsen und hatte ein faltenloses Gesicht, wie frisch gebügelt. Nein. Dies konnte nicht sein. Dies war unmöglich.
    Ein bemühtes Lächeln querte kurz das Gesicht des Mannes.
    »Das ist aber eine Überraschung«, sagte er.
    Jumar trat einen Schritt zurück, tastete nach der Türklinke –und wusste bereits, dass es zu spät dafür war. Ich bin sichtbar, dachte er, und es traf ihn wie ein elektrischer Schock: Er sieht mich, ich bin wie jeder andere. Keine Tricks mehr, keine schwebenden Gegenstände, keine Angriffe aus dem Hinterhalt.
    Und plötzlich wusste er auch, wessen Pferd er hatte schnauben hören.
    Kartans Finger umschlossen seinen Arm, ehe er Zeit hatte, überhaupt an das Gewehr auf seiner Schulter zu denken. Es waren kalte Finger, hart wie Stahl. Sie drehten ihm die Arme geschickt und blitzschnell auf den Rücken und zogen ihn bis ans Geländer der Terrasse. Er hatte lange nicht mehr gekämpft, er war ein Befehlegeber, ein An-der-Seite-Steher, ein Überwacher. Doch er hatte nichts verlernt.
    »Da komme ich hier herauf, um noch einen letzten Blick auf das Land zu werfen«, sagte er, und seine Stimme war ruhig und ohne Gefühl. »Ehe es das meine wird. Und wen finde ich? Den Freund unseres kleinen Thronfolgers. Der Zufall spielt merkwürdige Spiele mit uns, nicht wahr?«
    Jumar antwortete nicht. Kartans Worte sanken nur langsam in seinen Kopf. Den Freund des Thronfolgers.
    »Siehst du, dort unten?«, fragte er. »Das sind meine Leute. Sie verlassen die Berge. Ich brauche sie nicht mehr hier oben. Es macht keinen Sinn mehr, Land von den Maos zu gewinnen. Nicht in den Bergen. Sie kommen herunter zu mir, ins Tal, weil sie glauben, sie könnten meine Leute dort schlagen. Ich kenne ihre Pläne. Natürlich sind diese Unsinn. Siehst du, wie viele alleine dort unten unterwegs sind? Ich ziehe sie ab, sammle sie in der Stadt... Tausende und Tausende und Tausende.«
    Und Jumar sah. Von dort aus, wo sie standen, konnte man nur einige Biegungen des Weges zwischen den Bäumen ausmachen. Doch dieser Weg war schwarz von Menschen, Maultieren und Pferden. Er sah Uniformknöpfe im Sonnenlicht blitzen und Gewehrläufe glänzen, sah die Abzeichen auf dieser oder jener Brust strahlen und das frisch gestriegelte Fell der Pferde schimmern. Und er hoffte, dass Christopher, Niya und Arne langsam gingen –zu langsam, um die endlose Karawane der Soldaten einzuholen.
    »Jetzt, wo ich dich in den Fingern habe«, fuhr Kartan fort, »brauche ich dich nicht mehr. Der unsichtbare Sohn des Königs mag am Leben sein, doch es nützt ihm nichts mehr. Es ist zu spät für ihn.«
    »Zu spät?«, fragte Jumar und biss sich auf die Lippen.
    »Ja, viel zu spät«, nickte Kartan. »Ich schließe aus deiner Anwesenheit, dass er nicht weit von hier ist, nicht wahr? In vier Tagen wollen sie die Stadt angreifen. Meine Augen und Ohren sind überall. Auch in ihren Reihen. In vier Tagen kann auch ein Unsichtbarer die Geschichte nicht ändern. Ich werde dich laufen lassen, wenn du mir das Gewehr gibst. Ich brauche keine Informationen mehr von dir, und ich habe ein gutes Herz.«
    Er schüttelte den Kopf. »Sag deinem Freund, dass er mir leidtut. Er hat nichts, wohin er zurückkehren kann, dein Freund mit dem Siegelring. Sein Vater wird ihn nicht mehr hören.«
    Jumar zwang sich zu schweigen.
    »Traurig, aber wahr«, sagte Kartan. »Der König liegt im Sterben. Ich habe ihn besucht, ehe ich in ein Flugzeug stieg und ein letztes Mal hierherkam. Es dauert nicht mehr lange. Wenn der Kampf um die Stadt sein Leiden abkürzt, wird es nur gut für ihn sein. Die Ärzte, die sagen, sie geben nie jemanden auf, haben ihn aufgegeben. Nur noch die Krankenschwestern wachen an seinem Bett im Palast.«
    Jumar biss die Zähne zusammen, presste die Lippen aufeinander, verbot sich zu sprechen. Aber die Worte quollen aus seiner Kehle wie von selbst.
    »Wie lange – bleibt ihm

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