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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Garten.
    Lange, lange wanderten sie schweigend im sengenden Nachmittag dahin, wieder geohrfeigt vom scharfsandigen Wind, wieder geblendet vom Gleißen des Himmels, wieder den Kies unter ihren Füßen – und bald trockneten auch ihre Kleider, dreckig und staubig wie eine Art Kruste, eine zweite Haut, getränkt mit dem salzigen Schweiß der ersten. Erst als die Sonne hinter den Bergen abstürzte und sie in plötzlichen Schatten tauchte, wagte der Erste von ihnen zu sprechen.
    Es war Jumar, und er sagte:
    »Vielleicht haben wir die Insel nur geträumt. Vielleicht gibt es keinen Garten dort, und keinen Fluss. Es ist unwahrscheinlich. Viel zu unwahrscheinlich.«
    »Nichts in diesem Land ist unwahrscheinlich genug, um nicht zu geschehen«, entgegnete Niya bitter.
    Der Himmel wurde kälter und der Schatten dunkler. Die Finger des Windes waren jetzt scharf wie Messer, und in ihnen schnitt nicht nur der Sand und der Staub, sondern auch die beißende Kühle der Nacht.
    »Lasst uns einen Platz zum Schlafen suchen«, meinte Arne.
    Die Flanken des Tales stiegen hier steil an, und es gab keine Felsen darin, die Windschatten boten. Nur eine Menge loses Geröll starrte die Wanderer an, und von Zeit zu Zeit rieselte es von den Bergen herab wie von Schritten. Doch es war niemand da.
    »Dort vorne!« sagte Jumar schließlich.
    Und später dachte Christopher: Man hätte von Anfang nicht auf ihn hören sollen ... denn war inzwischen nicht hinlänglich bekannt, dass der nepalesische Thronfolger eine gewisse Eigenschaft hatte, die nicht zu leugnen war? Und hatte er ihn nicht aufgrund eben dieser Eigenschaft überhaupt erst kennengelernt?
    Aber Niya fragte: »Wo? Was? Gibt es dort Windschatten?«
    Und Jumar schüttelte den Kopf. »Das nicht. Aber etwas ist dort – etwas Erstaunliches. Seht nur. Etwas wächst dort. Dort, im Nichts.«
    Er ging auf die Stelle zu, und sie folgten ihm, verwundert. Denn es stimmte:
    Kaum einen Meter vom Rand des Tales und dem steilen Anstieg des Gerölls entfernt wuchs eine hohe, schlanke Pflanze. Sie winkte im letzten Licht vor der Nacht mit dünnen, elastischen Armen, und an diesen Armen wippten rosafarbene, windräder-ne Blüten ...
    »Ein Oleander!«, stellte Arne erstaunt fest. »Wie schön er ist! Aber er lässt die Blätter hängen.«
    »Kein Wunder!«, sagte Jumar. »Wo soll er hier Wasser finden?«
    »Aber wo hat er es bisher gefunden?«, fragte Niya. »Es sieht ganz so aus, als hätte er vor Kurzem noch genug davon gehabt...«
    Christopher sagte nichts. Da war wieder dieser schale Geschmack.
    Ein Geschmack von Gefahr.
    Jumar ging auf den Oleander zu, streckte die Finger aus, um seine Blätter zu berühren – ein freundlicher, grüner Gruß des Lebens hier im tödlichen, staubigen, kalten Nichts. Niya folgte dicht hinter ihm.
    »Nicht!« sagte Christopher sinnlos, hilflos, ohne erklären zu können. Seine Hand fand nur Arnes Schulter, und Arne blieb stehen.
    Und dann –
    Dann waren die beiden bei der Oleanderpflanze.
    Und dann tat sich der Boden auf.
    Der Boden des Kali-Gandaki-Tales – er klaffte in unerwarteter schwarzer Tiefe: Steine rieselten, Sand rutschte, Staub wirbelte auf, und in dieser verwirrenden Wolke verschlang das feindliche Tal den Thronfolger Nepals und eine kurzhaarige, feueräugige Kommunistin.
    Sie versanken wie der Fluss selbst – auf einen Schlag, unerklärlich.
    Nein, nicht ganz unerklärlich.
    Denn noch etwas geschah: Am Hang hinter dem Oleander wurde mit einem Mal ein großer, metallener Umriss sichtbar, eine Platte trat aus dem Geröll hervor, bis dahin sorgfältig verborgen. Ein geheimer Mechanismus knirschte und knarzte in der Erde. Räder drehten sich unsichtbar, eine ausgeklügelte Maschinerie setzte sich in Gang ... die riesige Eisenplatte fiel mit einem dumpfen Dröhnen auf das Loch, das es jetzt im Boden gab, und bedeckte es in seiner Gänze. Vom Steilhang aber rieselten Kies, Geröll, Sand und loses Erdreich, und ehe überhaupt irgendjemand Zeit hatte, zu schreien oder etwas zu sagen, verschüttete eine Lawine aus Schotter die Platte.
    Der Staub legte sich erst Minuten später. Der Oleander war verschwunden. Und mit ihm Niya und Jumar.
    »Das – das –«, keuchte Christopher.
    Seine Hand lag noch immer auf Arnes Schulter, die Hand, mit der er ihn zurückgehalten hatte.
    »Die Falle«, sagte Arne mit einer Stimme, so flach wie die Metallplatte, die nun unter den Steinen verborgen lag. »Das war die Falle. Tarmins Falle. Eine verflixt ausgeklügelte Technik.«
    Oh

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