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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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vergessen. Wir brauchen seine Macht. Die Maos wollen das Gleiche wie ich. Sie wollen Kartan fortjagen. Sie wollen den Hunger vertreiben. Sie wollen den Frieden. Ich dachte, ich müsste sie hassen. Aber wie kann ich jemanden hassen, der will, was ich will?«
    »Und der alte Diener, der dir in die Arme fiel? Wolltest du ihn nicht rächen? War das nicht der Grund, aus dem du Kathman-du zuerst verlassen hast?«
    »Ich habe den Verdacht, dass auch da Kartan seine Finger im Spiel hatte. Vielleicht haben sie es dem alten Tapa eingeredet, aber ich glaube, es waren nicht die Aufständischen, in deren Hände er gefallen ist.«
    »Was wirst du tun?«
    »Ich werde bei ihnen bleiben und ihnen helfen«, antwortete Ju-mar. »Was gibt es sonst für mich zu tun?«
    »Aber sie sind Kommunisten. Du wirst niemals König werden.«
    »Wen kümmert es, ob ich König werde«, sagte Jumar, und die Leichtigkeit seiner Worte überraschte Christopher. »Wozu ist ein König gut? Vielleicht werde ich Mathematiker oder Astronaut?« Er lachte.
    »Astronaut?«, fragte Christopher zweifelnd. Jumar boxte ihn in die Seite.
    »War nur ein Spaß. Vielleicht gehe ich auch nach Europa und studiere. Vielleicht besuche ich dich sogar. Wo wohnst du noch gleich? Norwegen? Finnland?«
    »Deutschland.«
    »Ich werde das nie unterscheiden können. Jedenfalls besuche ich dich, wenn all dies vorbei ist.«
    »Wenn all dies vorbei ist«, murmelte Christopher. Hätte er die Dinge nur auch so leicht nehmen können wie dieser merkwürdige unsichtbare Junge an seiner Seite!
    »Und Arne?«, fragte er. »Was ist mit meinem Bruder?«
    »Oh, wir werden ihn natürlich befreien«, erwiderte Jumar. »Denkst du, ich habe das vergessen? Wenn wir ein Weilchen hier sind, werden wir mit ihnen sprechen. Wenn sie uns vertrauen. Wenn wir bewiesen haben, dass man uns vertrauen kann. Wir werden ihnen die Dinge erklären, und sie werden zuhören.«
    »Ich ... ich habe darüber nachgedacht, ob er wirklich ein Gefangener ist. Vielleicht ist er freiwillig mit den Kämpfern gegangen, das würde zu Arne passen. Vielleicht... ist er sogar hier.«
    »Ja und nein«, sagte Jumar. »Vielleicht ist er kein Gefangener. Aber hier ist er nicht. Ich habe in den anderen Zelten nachgesehen. Vorhin, als du am Feuer saßt. Bald finden wir ihn, Christopher. Bestimmt.«
    Er gähnte, und Christopher konnte sich nicht dagegen wehren mitzugähnen.
    »Aber jetzt, jetzt schlafen wir ein Weilchen«, sagte Jumar, und Christopher hörte es rascheln, als er sich auf dem Boden ausstreckte.
    »Ja«, sagte Christopher. »Ja, das tun wir wohl besser.«
    Und dieses eine Mal drängte er seine Zweifel und seine Sorgen mit einem gezielten inneren Fußtritt in den Hintergrund. Er war zu erschöpft.
    Alles war gut. Sie waren keine Verräter. Sie würden Arne befreien, ohne sich anschleichen zu müssen. Falls sie ihn überhaupt befreien mussten. Es gäbe keine Lügen mehr und keine Angst, dabei ertappt zu werden.
    Und sie waren nicht mehr allein.
    Eine ganze Armee von Männern und Frauen standen auf der gleichen Seite wie sie.
    Sie wollen das Gleiche wie ich, hörte er Jumar wieder sagen.
    In Christophers Träumen spürte er die Berührung von Niyas Hand – jener Hand mit der Brandnarbe. Die Hand war warm und lebendig.
    »Das Erste, was du lernen musst, ist das Schießen«, sagte Niya.
    Ein kalter Wind trieb lange Wolkenfetzen über den Himmel, und Christopher stand ratlos vor einem Holzgestell, von dem an Fäden leere, rostige Konservenbüchsen herabbaumelten. Sie hingen im Windschatten der Felswand, doch manchmal bewegte der Luftzug sie sachte hin und her. Am Felsen lehnte eine Reihe von Gewehren.
    Das Gewehr in Christophers Händen war schwer und schwarz. Es schien sich gegen seine Finger zu sträuben, oder vielleicht waren es seine Finger, die sich sträubten.
    Niya legte sie geduldig immer wieder in die richtige Position. Die Berührung ihrer Hände waren wie in seinem Traum.
    Es fiel ihm schwer, sich aufs Zielen zu konzentrieren.
    Keiner der Korken, die das Luftgewehr ausspuckte, traf sein Ziel. Die Büchsen baumelten träge im Nachmittagslicht.
    Er versuchte sich vorzustellen, es wären die Büchsen an einer Jahrmarktsbude. Doch es gelang ihm nicht. Die Erinnerung an die zerschossene Nacht, in der Niya die vier Pferde ohne Reiter zurückgeschickt hatte, war noch frisch wie eine Narbe. Und die Konservenbüchsen verwandelten sich nach eigenem Gutdünken vor seinen Augen.
    Manchmal, wenn er zwinkerte, waren sie die Köpfe

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