Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachenauge

Drachenauge

Titel: Drachenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCaffrey
Vom Netzwerk:
reichten aus, um den Burgherren mitsamt ihren Gemahlinnen und den Weyrführern den Weg zu weisen.
    Oben angelangt, öffnete Paulin die Tür und betrat als Erster Chalkins private Gemächer. Hinter ihm drängten acht Männer und Frauen nach, auch M'shall, der darauf bestanden hatte, als Vertreter der Weyr zugegen zu sein.
    Zur allgemeinen Überraschung war der Raum hell
    erleuchtet; an Wandhalterungen baumelnde Körbe mit
    dem glühenden Myzel sorgen für so viel Licht, dass die drei schlafenden Gestalten in dem riesigen, mit Fell-decken überhäuften Bett deutlich auszumachen waren.
    324
     
    Chalkins massiger Körper hob sich als größter Buckel unter den Pelzen ab, und über den Kopf hatte er sich einen Zipfel des feinen weißen Lakens gezogen.
    Eines der Mädchen wachte auf. Sie öffnete den
    Mund, um zu schreien, doch kein Laut kam aus ihrer
    Kehle, als Paulin ihr mit einer barschen Geste Schweigen gebot. Stattdessen rutschte sie bis an die Bettkante, sich bis zum Kinn in das Laken hüllend, und hangelte nach ihrer Bekleidung, die in einem unordentlichen Haufen auf dem Boden lag. Paulin bedeutete ihr, dass sie sich anziehen solle. Ihre Bewegungen weckten das andere Mädchen. Doch deren Aufschrei war nicht zu stoppen.
    »Sie kreischte wie ein brünstiger grüner Drache«, er-zählte M'shall später. »Aber selbst das konnte Chalkin nicht aus dem Schlaf reißen.«
    Dafür wurden seine Leibwachen alarmiert. Sie stürzten in das Zimmer und blieben beim Anblick der vielen fremden Frauen und Männer in Chalkins privatem Schlafgemach entgeistert stehen.
    »Chalkin wurde seines Amtes als Burgherr enthoben,
    weil er es versäumt hat, seine Provinz gegen den bevorstehenden Fädenfall zu rüsten, weil er seine Privilegien als Feudalherr missbraucht hat und seinen Pächtern deren in der Verfassung verbrieften Grundrechte verweigerte«, erklärte Paulin mit lauter Stimme, das blanke Schwert in der Hand.
    »Legt eure Waffen nieder, andernfalls werdet ihr mitsamt eurem Herrn in die Verbannung geschickt«, setzte er drohend hinzu.
    Ohne Ausnahme entledigten sich die Männer ihrer
    Waffen, und in diesem Moment stürmte der Verstär—
    kungstrupp, angeführt von Iantine, durch die Tür.
    Erst jetzt rappelte sich Chalkin aus seinem weinbe—
    rauschten Schlummer hoch.
    Hinterher fand Paulin, er sei ein bisschen enttäuscht gewesen, dass sie auf so wenig Widerstand stießen.
    325
     
    »Dafür wird S'nan sich umso mehr freuen«, meinte
    K'vin. »Er scheint befürchtet zu haben, wir wollten Chalkin noch zusätzlich demütigen.«
    »Wir haben ihn schon genug erniedrigt«, hielt Tashvi ihm schmunzelnd entgegen.
    Chalkin winselte wie ein Feigling. Einen Burgherrn
    nach dem anderen versuchte er mit dem Versprechen
    auf ungeahnte Reichtümer auf seine Seite zu ziehen.
    Falls jemand mit der Vorstellung geliebäugelt hatte, Chalkin zu helfen, so schwand dieser Vorsatz schlag-artig dahin, als man die schlotternden, gebrochenen Opfer von Chalkins Sadismus aus ihren ›Kühlfächern‹
    befreite.
    »Jedes einzelne Verlies enthielt eine dieser armen
    Kreaturen«, erzählte Issony, noch ganz erschüttert von den Bildern des Grauens, die sich ihm dargeboten hatten. »Die meisten Eingekerkerten waren seine Grenzwächter, aber selbst der schlimmste Verbrecher hat diese Tortur nicht verdient.«
    Sogar die Robustesten von ihnen würden für den
    Rest ihres Lebens unter den Folgen der grausamen Haft leiden.
    »Iantine? Haben Sie … ah ja, Sie haben Ihre Zeichensachen mitgebracht. Fertigen Sie doch bitte rasch eine Skizze an.« Issony deutete auf zwei Männer, die im Sterben lagen; es waren die beiden Kerle, die man wegen Vergewaltigung von schwangeren Frauen kastriert hatte. Das Einzige, was man jetzt nur noch für sie tun konnte war, ihnen den Tod durch die Gabe von Fellis-saft zu erleichtern. »S'nan soll das sehen. Für den Fall, dass er immer noch glaubt, wir hätten Chalkin Unrecht zugefügt.«
    »Weiß man schon etwas von Vergerin?«, fragte Paulin, nachdem man sämtliche Zellen geleert hatte.
    »Nein«, erwiderte M'shall grimmig. »Aber der Umstand, dass er nicht bei den Inhaftierten war, darf uns nicht in Sicherheit wiegen.« Mit dem Daumen deutete 326
     
    er auf zwei Männer, ehemals Kerkermeister, die nun die befreiten Menschen, die zu schwach zum Laufen waren, auf Tragen abtransportierten. »Die da sagten, vor-gestern habe man ein paar Leichen in die Kalkgrube geworfen. Vielleicht kommt jede Hilfe für Vergerin zu spät.«
    Paulin

Weitere Kostenlose Bücher