Drachenauge
nicht!«
Chalkin streifte ihn mit einem unsicheren Blick, und in seinem Gesicht zuckte ein Muskel. Selbst der Lord von Burg Bitra wusste, wann er einen Menschen zum
Äußersten getrieben hatte.
»Es ist nicht übel …«
»Ist es zufrieden stellend , Lord Chalkin?« Iantine legte seine gesamte aufgestaute Feindseligkeit und Über-reiztheit in diese Frage.
Chalkin hob eine Schulter, verzog unschlüssig das
Gesicht und glättete gleich darauf eilig seine Züge, um dem würdevolleren Porträt vor ihm zu gleichen.
»Doch, ja, ich glaube, es ist zufrieden stellend.«
»Wenn dem so ist …« Ohne viel Federlesens fasste
Iantine Lord Chalkin beim Ellbogen und bugsierte ihn zur Tür, »dann lassen Sie uns in Ihr Arbeitszimmer gehen und den Vertrag erfüllen.«
»Na ja, wissen Sie …«
»Wenn das Bild zufrieden stellend ist, habe ich den Vertrag erfüllt, und Sie können mir jetzt das Honorar für die Miniaturen aushändigen«, forderte Iantine, den Mann durch den kalten Korridor zum Arbeitszimmer scheuchend. Ungeduldig klopfte er mit der Fußspitze auf den Boden, während Chalkin die Schlüssel aus einer Innentasche fummelte und sich an dem Türschloss zu
schaffen machte.
In dem Kamin des Büros loderte ein so heftiges Feuer, dass Iantine der Schweiß ausbrach. Auf Chalkins energischen Wink hin drehte er sich um, damit dieser unbeobachtet in seinem Safe kramen konnte. Endlich, zu seiner größten Erleichterung, hörte er das Knirschen eines 162
Metallverschlusses und dann trat Stille ein. Schließlich fiel ein schwerer Deckel zu.
»Bitte sehr!«, knurrte Chalkin.
Iantine zählte die Marken, sechzehn Stück. Es waren Farmer-Marken, doch das spielte keine Rolle, da er sie in Benden ausgab, wo man gegen Farmer-Marken
nichts einzuwenden hatte.
»Die Verträge …«
Chalkin warf ihm einen giftigen Blick zu, doch er öffnete eine Schublade und zog die Verträge heraus, wobei er sie Iantine über den Schreibtisch zuwarf. Iantine un-terzeichnete mit seinem Namen und gab sie Chalkin zurück.
»Nehmen Sie meinen«, bot Iantine an, als Chalkin betont umständlich in dem Wust an Krimskrams auf seinem Schreibtisch nach einem brauchbaren Stift suchte.
Widerstrebend kritzelte Chalkin seine Signatur unter das Dokument.
»Und jetzt noch das heutige Datum«, verlangte Iantine, der kein Risiko mehr eingehen wollte.
»Sie sind reichlich unverschämt, Maler.«
» Künstler , Lord Chalkin«, korrigierte Iantine mit säu-erlichem Lächeln und wandte sich zum Gehen. An der
Tür drehte er sich noch einmal um. »Achtundvierzig
Stunden braucht die Farbe zum Trocknen. So lange dürfen Sie das Bild nicht anfassen. Ich komme nämlich
nicht zurück, falls Sie es beschädigen. Als wir das Zimmer verließen, war es zufrieden stellend. Sorgen Sie dafür, dass es so bleibt.«
Iantine lief los, um seine teuren Pinsel einzusammeln, doch die selbst hergestellten Farben wollte er nicht mitnehmen. Am vergangenen Abend hatte er optimisti—
scherweise seine übrigen Sachen gepackt. Nun hetzte er die Treppe hinauf, jeweils zwei bis drei Stufen über-springend, verstaute sorgfältig die Pinsel und stopfte die signierten und datierten Verträge in seinen Pack-sack. In Windeseile schlüpfte er in seinen Mantel, rollte 163
die Pelzdecke zusammen, fasste beide Gepäckstücke
mit einer Hand und befand sich auf halber Treppe nach unten, als Lord Chalkin ihm entgegengestapft kam.
»Sie können noch nicht gehen«, protestierte Chalkin, ihn am Arm festhaltend. »Sie müssen warten, bis meine Frau das Porträt gesehen und für gut befunden hat.«
»O nein, das muss ich nicht«, zischte Iantine und riss sich aus der Umklammerung.
Er passierte das Haupttor, ehe Chalkin die Verfol—
gung aufnehmen konnte und rannte die von hohen
Schneewächten gesäumte Straße entlang. Selbst wenn
ihn nächtens ein Blizzard im Freien überraschte, wäre er immer noch sicherer, wie wenn er sich nur noch eine einzige Stunde in Burg Bitra aufgehalten hätte.
Glücklicherweise fand er während des nächsten
Schneesturms Zuflucht in der Behausung eines Holzfällers, wenige Kilometer von der Burg entfernt.
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KAPITEL 6
Telgar-Weyr; Burg Fort
atet mal, was ich gefunden habe!«, trompetete P'tero Rund schubste seinen Gast in die Küchenkaverne.
»Tisha, der arme Mann ist halb erfroren und verhungert«, setzte der junge Drachenreiter hinzu. Er schob die hoch gewachsene, in einen Pelz gehüllte Gestalt an den nächsten Kamin und drückte sie auf einen
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