Drachenauge
Macht-position als Burgherr.
Nachdem Paulin M'shalls Bericht gelesen hatte, woll-te er wissen, ob Chalkins Pächter gegen ihn aussagen würden. M'shall bezweifelte dies. Seiner Ansicht nach ließen die Bitraner es an jeder Form von Zivilcourage und Gemeinsinn fehlen. Chalkin hatte seine Untergebenen dermaßen eingeschüchtert, dass sich niemand gegen ihn wenden würde – besonders nicht so kurz vor einem Vorbeizug des Roten Sterns –, da er befugt war, so genannte Querulanten aus ihren Häusern zu vertreiben.
»Vielleicht ändern sie ihre Meinung, wenn der Fädenfall erst einmal eingesetzt hat«, sagte K'vin zu Zulaya.
»Dann wäre es wohl zu spät, um irgendwelche sinn—
vollen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen.«
K'vin hob die Schultern. »Chalkin geht uns nichts an, und dafür bin ich dankbar. Wenigstens konnten wir Iantine retten.«
Zulaya schüttelte den Kopf. »Der arme Mann. Für
den Beginn seiner beruflichen Laufbahn hat er sich mit Bitra den schlimmsten Ort ausgesucht.«
»Vielleicht reicht sein Talent nicht für mehr«, mut-maßte K'vin.
»Wenn er am Institut Domaize ausgebildet wurde, ist er ein wahrer Künstler«, versetzte Zulaya spitz. »Wie lange es wohl dauern mag, bis seine Hände ausgeheilt sind?«
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»Möchtest du dich malen lassen?«, fragte K'vin amü-
siert.
»Nun ja, ihm fehlt ein Achtel des Geldes, das er so dringend braucht.«
K'vin riss die Augen auf. »Du wirst doch nicht etwa …«
»Was traust du mir eigentlich noch zu?«, ärgerte sie sich. »Selbstverständlich zahle ich den vollen Preis. Iantine braucht etwas eigenes Geld in der Tasche. Ich habe Respekt vor jedem Menschen, der es in Bitra so lange ausgehalten hat, ohne dass man seinen Willen brach.
Iantine hat ehrenhaft gehandelt, als er sich zum Arbeiten dorthin begab. Mit dem Honorar wollte er die Ge-bühren für die Grundstücksübertragung begleichen.«
»Trag das rote Kleid, wenn du ihm Modell stehst«,
schlug K'vin vor. Nachdenklich rieb er sein Kinn.
»Weißt du was? Ich könnte mich auch porträtieren
lassen.«
Zulaya fasste ihn prüfend ins Auge. »Möglicherweise wird der Bursche noch länger bei uns in Telgar bleiben als in Bitra.«
»Aber wenn er dann loszieht, hat er Geld in der
Tasche, und Kost und Logis waren frei.«
»Seife, heißes Wasser und gutes Essen liefern wir
auch kostenlos«, setzte Zulaya hinzu. »Tisha findet, dass er ordentlich was zwischen die Rippen braucht.
Der Junge besteht nur aus Haut und Knochen.«
Als Iantine durch Gesang geweckt wurde, fühlte er sich vollkommen desorientiert. In Burg Bitra hatte nie jemand gesungen. Und es war warm im Zimmer. Von der Küche her zogen verlockende Düfte in seinen Raum. Er setzte sich auf. Die Haut im Gesicht, an den Händen und an den Füßen spannte sich, doch das Jucken hatte aufgehört. Und er verspürte einen Heißhunger.
Der Vorhang vor dem Kämmerchen raschelte, und
ein Junge steckte den Kopf durch den Spalt im Stoff.
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»Sind Sie wach, Künstler Iantine?«, fragte er.
»Ja, ich bin wach.« Iantine suchte nach seiner Kleidung. Jemand hatte ihn ausgezogen, doch seine Sachen vermochte er nirgends zu erblicken.
»Ich soll Ihnen zur Hand gehen, falls Sie Hilfe brauchen«, erklärte der Bub und schob sich halb ins Zimmer.
»Tisha hat Ihnen sauberes Zeug rausgelegt.« Er rümpfte seine Stupsnase. »Ihre Klamotten stanken wie die Pest.«
Iantine lachte. »Das glaube ich gern. Schon vor drei Wochen ging mir die Seife aus.«
»Sie waren in Bitra. Da kriegt man nichts für lau.«
Angewidert hob der Junge die Arme. »Ich heiße Leopol«, fügte er hinzu. Dann nahm er ein paar weiche Pantoffeln von dem Kleiderstapel auf dem Hocker.
»Tisha meint, Sie sollten die hier tragen und nicht Ihre Stiefel. Aber zuerst müssen Sie die Füße mit Salbe einreiben …« Er hob einen Deckelkrug hoch. »Das Essen ist fertig.« Leopol leckte sich die Lippen.
»Ach so. Und du sollst bei mir bleiben, bis ich fertig angezogen bin, was?«
Leopol nickte feierlich und grinste. »Aber das macht mir nichts aus. Fürs Warten bekomme ich eine Extra-Portion.«
»Ist das Essen in diesem Weyr denn knapp?«, fragte
Iantine im Scherz, während er sich die sauberen Sachen überstreifte. Es war schon seltsam, dass simple Dinge wie frisch gewaschene Kleidung auf einmal ungeheuer wichtig wurden, wenn man darauf hatte verzichten müssen.
Leopol half ihm, die Heilsalbe auf die Füße aufzutragen. Die Haut war immer noch sehr empfindlich. Selbst die
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